Dienstag, 24. Oktober 2023

Yudo Jürgen Seggelke ist gestorben


Am 4. August, wenige Monate nach seinem 85. Geburtstag, ist Yudo Jürgen Seggelke gestorben. Zum Jahreswechsel war überraschend eine schwere Krankheit diagnostiziert worden. Diese Diagnose und sein Tod waren und sind für seine Familie, Freundinnen und Freunde, Schülerinnen und Schüler ein Schock. Denn er war ein kraftvoller Mensch und buddhistischer Lehrer, der sich nach dem Ausscheiden aus seinem Beruf intensiv der Aufgabe widmete, Zen in der Tradition von Meister Dogen im deutschen Sprachraum zu vermitteln. Er starb in seinem Berliner Zuhause, auch in den letzten Wochen begleitet von seiner Frau Barbara.

Eher ungewöhnlich in den Nachkriegsjahren, beschäftigte sich Yudo Jürgen Seggelke früh mit Buddhismus, zunächst über Bücher, schließlich fand er in Berlin eine Gruppe. Vor allem Zen und die damit verbundene Kultur begeisterten ihn. Während einer beruflichen Reise 1996 nach Tokio arrangierten seine Gastgeber deshalb ein Treffen mit Gudo Wafu Nishijima, der sein Lehrer werden sollte. Diese Begegnung, die anschließenden mehrfachen Aufenthalte in dessen Zendo in Tokio, die formale Ausbildung in der Dogen-Sangha, aber auch die persönliche Freundschaft und kurz sogar eine Wohngemeinschaft mit Nishijima prägten sein weiteres Leben. Die Übertragung des Dharma durch ihn sah Yudo Jürgen Seggelke immer als Auftrag, das Werk von Nishijima weiterzuführen.

Nishijima und Ritsunen Gabriele Linnebach planten um die Jahrtausendwende eine deutsche Ausgabe von Dogen Zenjis Shobogenzo. Da Yudo Jürgen Seggelke als Mitübersetzer von buddhistischen Texten einer koreanischen Meisterin bereits entsprechende Erfahrung hatte, konnte er an der Übertragung der ersten drei Bände der im Kristkeitz verlegten Ausgabe mitarbeiten. Diese intensive Beschäftigung mit Dogens Hauptwerk wurde zugleich zur Grundlage für viele seiner weiteren Bücher und Vorträge.

In den Folgejahren hat er zunächst einen Verlag gegründet. Dort erschienen neben seinen Kommentaren zu allen 95 Faszikeln des Shobogenzo auch von ihm übersetzte Texte, Radiovorträge und Aufsätze seines Lehrers Nishijima. In weiteren Büchern fasste er einzelne Kapitel des Shobogenzo thematisch zusammen, etwa zur Buddhanatur, zur buddhistischen Ethik oder zum Erwachen, und erläuterte ausführlich deren Bedeutung für die Gegenwart.

Als 2011 Nishijimas englische Ausgabe des Mulamadhyamakakarika, der Lehrstrophen über die grundlegenden Lehren des Mittleren Weges, erschien, dieses Hauptwerkes des buddhistischen Philosophen und Lehrers Nagarjuna, entschloss sich Yudo Jürgen Seggelke, den Text direkt aus dem Sanskrit neu zu übersetzen und ihn mit Bezug auf den Kommentar seines Lehrers sowie ausführlichen eigenen Erläuterungen für Interessierte vorzulegen. Unterstützt wurde er dabei von Elisabeth Steinbrückner. Die Arbeit an diesem Werk sollte sieben Jahre beanspruchen und drei Bände mit etwa 1 000 Seiten und abschließend eine für eine breitere Öffentlichkeit gedachte Zusammenfassung zum Ergebnis haben.

Seit etwa 15 Jahren nutzte Yudo Jürgen Seggelke die Möglichkeiten des Internets, beschrieb seine Erfahrungen beim Zazen und veröffentlichte Beiträge zum Bogenschießen (kyudo), zum Spiel der japanischen Bambusflöte (shakuhachi) sowie über Mystik in der christlichen Tradition, besonders zu Franz von Assisi.

Seine Energie reichte, dass er wenige Wochen vor seinem Tod noch sein nun letztes großes Projekt zu Ende bringen konnte: die Übersetzung und Kommentierung eines Lehrgedichtes von Vasubandhu, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des Mahayana. Es wird ein besonderes Vermächtnis sein.

Yudo Jürgen Seggelke war, bei allem Einsatz für ein verbessertes Verständnis von Zen aus der Tradition Dogen Zenjis, kein doktrinärer Eiferer. In den Beschreibungen seiner Begegnungen mit den für ihn wichtigen Menschen, Büchern und Traditionen schwingt die Offenheit mit, die ihn am Zen-Weg begeistert hat. Wer ihn kennenlernen durfte, hat auch ihn als begeisternd erlebt.


Eberhard Gensa Kügler

Sonntag, 21. Mai 2023

Die Wahrheit mit Körper und Geist erlernen

 

Der Buddhismus lehrt ohne Umschweife die Wahrheit und Befreiung, dass man sowohl den Geist als auch den Körper und die Psyche schult und entwickelt. Dadurch befreit man sich von doktrinären Denkmustern, die zu Täuschungen führen. Wir müssen uns immer im Klaren darüber sein, dass Körper, Geist und Psyche in der Wirklichkeit unauflösbar zusammengehören und eine lebendige und wirkungsvolle Wechselwirkung mit den angeblich unabhängigen Objekten der Welt bilden. Und es geht hier um nichts weniger als die Wahrheit und Wirklichkeit unseres Lebens! Dieses ist Kapitel von fundmentaler Bedeutung und großer Klarheit. Und viele reden um die Fragen von Wirklichkeit und Wahrheit wie um den heißen Brei herum und gleiten schnell in mystische und metaphysische Schein-Höhen ab. Dann hängt die Therapie vom Leiden zur Befreiung "in der Luft" und ist weitgehend wirkungslos.

Der Lehre vom ethischen Handeln und Tun, die immer Veränderungen beinhaltet, kommt dabei im Buddhismus eine sehr große Bedeutung zu, und zum Handeln gehören immer sowohl Geist, Psyche als auch der Körper.

Dōgen betont den klaren Entschluss, den Buddha-Weg zu gehen und fixierte Vorurteile und Doktrinen überwinden zu wollen. An andere Stelle heißt es, dass wir den Bodhi-Geist bei uns erwecken müssen, um in den Lernprozess des Buddhismus einzutreten. Auch bei den Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen Pfad steht am Anfang die klare eigene Entscheidung, den Buddha-Weg zu gehen, um das eigene Leiden und das der anderen zu überwinden. Dōgen sagt klipp und klar:

„Wenn ihr euch nicht entschließen könnt, die Wahrheit zu erlernen, entfernt sie sich immer mehr von euch.“

Der klare Entschluss zum ethischen Handeln ist also zunächst im Geist, der Psyche und Wollen angesiedelt. Dies ist dann der Beginn eines handelnden Lebens auf einem neuen Weg in eine neue Richtung.

„Ihr solltet deshalb fest darauf vertrauen und annehmen, dass dieser Geist sich auf natürliche Weise von selbst daran gewöhnt, die Wahrheit zu erlernen. Dies nennen wir das Erlernen der Wahrheit mit dem Geist.“

Aus diesen Worten spricht sein tiefes Vertrauen zum Leben im Buddhismus. Für ihn handelt es sich um einen natürlichen Lern- und Entwicklungsvorgang, wenn man auf dem Buddha-Weg das Erwachen oder die Erleuchtung und damit Befreiung erlebt. Er zitiert er einen Meister mit folgendem Gedicht:

„Das Leben ist die Verwirklichung der Dynamik des ganzen Universums. Der Tod ist die Verwirklichung der Dynamik des ganzen Universums.Sie erfüllen den ganzen Raum. Der reine Geist ist immer im Augenblick.“

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Mittwoch, 10. Mai 2023

Die natürliche mystische Kraft des Lebens und Universums


Bodhidharma

Meister Dōgen erklärt im, dass die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt selbst das Wunderbarste sind. Dagegen sind illusionäre Doktrinen meist unheilsam und sogar gefährlich. Dies kann jedoch durch die authentische buddhistische Lehre und Übungspraxis, also vor allem durch Zen-Meditation, richtig erkannt, erfahren und erlebt werden. Die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt sind in der Tat mystisch und nicht vollständig erfassbar, aber sie entstehen laut Nāgārjuna gleichwohl in Wechselwirkung ganz real und können daher als leer von unsinniger Metaphysik bezeichnet werden. Es handelt sich nach Dōgen gerade nicht um „übernatürliche“ Wunder, sondern um die „natürliche mystische Kraft“ des Lebens und Universums. Das gibt uns Selbstvertrauen, unsere Mitte und Gleichgewicht. Dann entwickeln sich in und mit uns ganz neuer Energien.

Er zitiert einen alten buddhistischen Meister, der auf die Frage, was die mystische Kraft der Buddhas sei, antwortet: „Wasser holen und Brennholz tragen.“ Dies ist in der Tat eine verblüffende Antwort, da beide Tätigkeiten nach dem "gesunden Menschenverstand" eher einfach, um nicht zu sagen banal sind und sicher vielen Menschen eher als lästig und unangenehm erscheinen. Wir verbinden sie im normalen Sprachgebrauch nicht mit natürlichen mystischen Kräften. Im Zen-Buddhismus werden die Wirklichkeit und Wahrheit des Handelns besonders bei den scheinbar einfachen Tätigkeiten außerordentlich hoch geschätzt. Darin offenbaren sich wahre buddhistische Handlungskraft und wahrer buddhistischer Geist, der ganz ohne doktrinäre Täuschungen und Doktrinen ist. Es kommt nicht so sehr darauf an, was man tut, sondern wie man es tut. Das Handeln und die Meditation sind die sicheren Grundlagen für die Erfahrung der Wirklichkeit

Diese alltäglichen Handlungen, wie Wasser schöpfen und Brennholz holen, gewinnen aus buddhistischer Sicht eine ganz neue Tiefenschärfe und verwirklichen neue, lebendige Verbindungen zu vielen anderen wesentlichen Lebensbereichen. Wenn man dieses wirklich erfährt, sind es nach Dōgen wirklich mystische Kräfte, die sich durch die buddhistische Lehre und Übungspraxis im Leben ganz real zeigen und entfalten.

 

Montag, 1. Mai 2023

Der Geist hier und jetzt ist Buddha

 

Unser Geist ist weit mehr als das Denken, denn er ist nach Dōgen auch die Wirklichkeit des "Bambus, der Berge, Flüsse, der Erde, der Sonne, des Mondes und der Sterne." Ist das ein Zen-Paradox?

Nein, das ist auch die bittere Ökologie der Gegenwart, und daraus entstehen die Klima-Katastrophen von heute. Denn was ist der Kern des Übels? Dass sich der menschliche Geist von der Ökologie aus Einfältigkeit oder Arroganz getrennt hat und das zum Drama werden musste. Gerade für den menschlichen Geist und die hoch gezüchtete Intelligenz gilt, dass die Trennung von der Natur, also von den Bergen Flüssen und der Sonne und deren Zusammen-Wirken den Herzschlag unsere Welt gefährdet. Buddha hat m. E. als erster klar erkannt, dass das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung die große Wahrheit des Universums und des Lebens ist.

Er arbeitet diese tiefe Weisheit in mehreren scharfsinnigen Dialogen mit dem alt-indischen Denker Senika heraus. Er beweist diesem die Unsinnigkeit, Widersprüchlichkeit und große Gefahr der Abspaltung des Geistes von der Natur. Der alte Denker kann der fundierten Weisheit und Praxis Buddhas über das lebendigen Zusammen-Wirken nichts entgegensetzen. Dadurch öffnet sich bis heute der Weg zur kraftvollen und heilsamen Befreiung und zum Erwachen. Senika erkennt aber nicht die lebenden Zusammenhänge von Geist und Ökologie. Und das ist eine fatale Sackgasse!

Dōgen lehnt diese kurzsichtige Lehre Senikas mit Nachdruck ab und erläutert dies anhand des berühmten Satzes „Der Geist hier und jetzt ist Buddha“. Es geht dabei nicht um Glauben, Wünsche, abstrakte Vorstellungen und eine unsichtbare Geist-Essenz, sondern um die reale Wirklichkeit hier und jetzt, ob wir sie nun mögen oder nicht. Und diese Wirklichkeit können wir entscheidend mit gestalten. Und eine Flucht aus der Wirklichkeit, in Dogmen, in schöne Wunschträume oder unbeherrschbare Ängste ist  eine wesentliche Ursache für das Leiden, und Schmerzen und ökologische Probleme.

Was bedeutet nun der zitierte Satz, dass der Geist hier und jetzt Buddha ist? Ein berühmter Zen-Meister sagt dazu

„Der Geist hier und jetzt ist Buddha“ darf nicht nur das Bewusstsein kennzeichnen sondern auch den Körper" und den ganzen Menschen, also auch unsere Psyche.

Dies ist im Buddhismus das Symbol eines klaren Spiegels, der das Ganze reflektiert, was vor ihm erscheint, ohne etwas hinzuzufügen, wegzulassen oder zu verzerren. Die Flucht der Menschen vor der Wirklichkeit und der Wahrheit ist die Ursache der meisten geistigen und psychischen Leiden ist, die wir in der heutigen Zeit leider genauso kennen wie früher. Dadurch entstehen auch ökologische Katastrophen.

Dōgen sagt daher:

„Wenn wir den Willen (zur Wahrheit) niemals erweckt, das Praxis-Training niemals durchlaufen, den Bodhi-Geist niemals (verwirklicht) und Nirvāna niemals (erfahren) haben, dann gibt es keinen Geist, hier und jetzt ist Buddha‘.“


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Montag, 17. April 2023

Zazen ist Sitzen wie ein Berg

 

Meditatiion und sinnvolles Handeln sind die Eckpunkte zur Befreiung von Leiden und Schmerzen. Die Methode des Zazen ist besonders wirkungsvoll und wird in Ost-Asien zu Recht mit der Heilwirkung der Akkupunktur verglichen.

Man verwendete dafür geeignete Bambusnadeln. Der japansche Begriff für „Nadel“ lautet shin. Damit ist auch die Heilung von Körper-und-Geist gemeint und bezeichnet eine Praxis, die den Menschen von physischen, psychischen und mentalen Leiden und Unwohlsein befreit – im Zen-Buddhismus also die Meditationspraxis des Zazen.

Außerdem verwendet man diesen Begriff für kurze, markante Sätze. Vor allem für Verse der buddhistischen Lehre, die in der Lage sind, den Menschen direkt zu helfen und einen Wandel zum Heilsamen herbeizuführen. Das ist die markante typische Ausdrucksform fähiger Zen-Meister!

Dōgen zitiert und kommentiert im Kapitel Zazenshin ein berühmtes Kōan-Gespräch:

Der große Meister Yakusan Igen saß im Zazen, als ein Mönch ihn fragte:

„Was denken Sie im stillen, stillen Zustand?“

Die Bedeutung für diesen Zustand des Zazen lässt sich am besten mit „bewegungslos auf einem hohen Niveau“ wiedergeben. Der japanische Begriff bezeichnet ursprünglich einen majestätischen Tafelberg, der oben flach ist und Verbindung mit dem Himmel zu haben scheint. Damit wird der Zustand des Gleichgewichts und der Ruhe in der Zazen-Praxis beschrieben und gleichzeitig dessen starke Kraft und ruhige Ausstrahlung gekennzeichnet. Sitzen wie ein Tafelberg!

Der Meister antwortete dem Mönch mit einer der berühmtesten Aussagen des Zen-Buddhismus: „Den konkreten Zustand des Nicht-Denkens denken.

Das klingt zunächst paradox. Im Klartext heißt dies meines Erachtens: Der Mönch glaubt, dass der Meister etwas ganz Wunderbares im erleuchteten Zustand denkt, während der Meister sagt, dass er nicht intellektuell und nicht unterscheident und wie üblich denkt. Da der Mönch diese Antwort nicht verstand, fragte er weiter: „Wie kann der Zustand des Nicht-Denkens gedacht werden?“ Der Meister erwiderte darauf kurz und bündig: „Es ist Nicht-Denken.“

Die einengenden Grenzen des logischen Denkens werden aufgelöst und die Blockaden von Gefühlen und Dogmen lösen sich einfach auf. Wie es im Zen heißt:

"Körper und Geist fallen lassen"

Nishijima Roshi fügt hinzu, dass beim Zazen durchaus fließenden Gedanken im Bewusstsein auftauchen können, die jedoch wieder von alleine verschwinden, wenn wir uns nicht auf sie fixieren. Dōgen betont:

„Wir sollten in der Praxis das wahrhaft stille Sitzen lernen, und wir sollten die authentische Übertragung des wahrhaft stillen Sitzens empfangen.“

Sein Gedicht beginnt mit den Versen:

Zentrale Kraft eines jeden Buddhas.

Lebendiger Kern jedes wahren Meisters.

Jenseits des Denkens: Verwirklichung,

jenseits der Komplikation: Verwirklichung.

Jenseits des Denkens: Verwirklichung.

Die Verwirklichung ist natürlich und unmittelbar.


Zazen bringt Ruhe, Selbstvertrauen und Glanz in dein Leben



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Link: Authentische Beschreibung des Zazan