Samstag, 1. September 2007

Der Geist hier und jetzt ist Buddha (Soko shin ze butsu)

Bambushain beim Kloster Tokein


In diesem Kapitel (Kap. 6, Soko shin ze butsu) grenzt Dôgen die buddhistische Lehre von der alt-indischen Philosophie ab, die in der Zeit von Gautama Buddha vor allem von dem Brahmanen Senika vertreten wurde. Es gibt mehrere Streitgespräche zwischen Gautama Buddha und Senika, welche die wesentlichen Kernpunkte der damals neuen buddhistischen Lehre treffend darstellen und gegenüber der Lehre des Brahmanismus abgrenzen. Dieser Brahmane vertrat in aller Deutlichkeit den Glauben, dass es einen ewigen unveränderlichen Geist im Menschen gäbe, der vom jeweiligen Körper unabhängig sei und der durch die Wiedergeburten von einem Körper zum anderen wandert. Dies sei die große Wahrheit, die man leicht verstehen und erkennen könne, und durch diese Lehre vom ewigen Geist würde man ohne Mühe und ohne anstrengende Übungspraxis sofort frei werden. Nach Senikas Glauben kann diese Geistsubstanz zwischen Leid und Freude, Wärme und Kälte, Schmerz und Verwirrung unterscheiden. Sie sei völlig unabhängig und selbstständig. Sie würde außerdem nicht durch irgendwelche Dinge, die Materie und die materielle Umgebung eingeschränkt oder behindert. Nach Senika durchdringt ein solcher ewiger Geist sowohl die Seelen der normalen als auch der heiligen Menschen, und wenn man das Wissen über den Geist erlangt habe, gäbe es keine Täuschungen und keine Irrwege mehr über Körper und Seele. Dann sei man frei und müsse nicht mehr leiden. Dadurch könne man auch sein eigenes, ursprüngliches, spirituelles Bewusstsein klar erkennen. Diese geistige Essenz sei ewig und durchdringe alle Welten und alle Zeiten. Dem gegenüber seien die Dinge dieser Welt und des Universum vergänglich, sie kommen und gehen also und haben keine Beständigkeit. Man kann diese Geist-Essenz auch das spirituelle Bewusstsein oder das wahre Ich nennen, und wer diese ursprüngliche Essenz durch das große Wissen erlangt habe, könne in die Ewigkeit zurück kehren und sei nicht mehr gezwungen, im Kreislauf der Welt erneut wieder geboren zu werden. Wenn dann der Geist in die Ewigkeit eingeht, sei der Leidens-Kreislauf von Leben und Tod beendet und er gehe in dem unendlichen Ozean in der Essenz auf.
Dies sind die Kernaussagen und der Glauben des Brahmanen. Was sagt nun Meister Dôgen dazu und wie grenzt er die wahre Lehre des Buddha Dharma davon ab? Wäre es nicht schön, wenn der Brahmane Senika mit seiner Lehre Recht hätte und wir nur durch diese einfache Erkenntnis über unseren so verstandenen „Geist“ den schmerzlichen Kreislauf des Lebens beenden könnten?
In der geschichtlichen Zeit um 700 n. C. hatte der Buddhismus in China eine außerordentlich hohe Blüte erreicht, die nach Bodhidharmas Ankunft in China wesentlich auf den großen Meister Daikan Enô zurückzuführen ist, der sein sechster Nachfolger in China war. In dieser Zeit hatte die Kultur im nördlichen China einen hohen Stand erreicht und unterschied sich damit von dem weniger entwickelten Süden, der damals auch Teile von Kambodscha und Vietnam umfasste. Dôgen berichtete, dass auch der Buddhismus im Süden weniger klar gewesen sei und dass die Lehrmeinungen der dortigen sog. Meister oft der Lehre des Bramanen Senika bedenklich nahe kamen, indem einfach der Geist oder die geistige Essenz mit Buddha gleich gesetzt wurde. Dôgen lehnt diese Lehre mit Nachdruck ab und erläutert dies anhand des berühmten und bekannten Satzes:

"Geist Hier und Jetzt ist Buddha".

Es geht ihm dabei nicht um Glauben, Wünsche und abstrakte Vorstellungen, sondern um die reale Wirklichkeit, ob wir sie nun mögen oder nicht. Denn eine Flucht aus der Wirklichkeit schaffe vor allem das Leiden der Menschen.
Was bedeutet nun der obige Satz? In einem Gespräch des Nachfolgers des Meisters Daikan Enô, der den Ehrennamen großer Landesmeister Daishô hatte, und den Dôgen sehr hoch schätzte, wird die falsche oder zumindest ungenaue Lehre des Buddha-Dharma aus dem Süden Chinas an Hand der Erzählung eines reisenden Buddhisten wie folgt wieder gegeben. Dieser erläuterte dem großen Landesmeister, dass die Dharma-Lehrer im Süden sagen, dass der Satz:„Geist Hier und Jetzt ist Buddha“ nur das Bewusstsein, aber nicht seinen Körper kennzeichnet. Geist und Bewusstsein werden also gleich gesetzt. Dieses Bewusstsein habe die wesentliche Eigenschaft, dass es die Essenz des Sehens, Hörens, Wahrnehmens und des Wissens sei. Es steuert dabei alle Handlungen des Menschen und vor allem sein Denken und wird daher auch das „Wahre allumfassende Wissen" genannt. Dieses umfassende Wissen sei der ganze große Buddha und außer diesem wunderbaren Wissen gäbe es nichts anderes. Das Wissen ist also das Höchste und zugleich die Essenz des Universums und alles andere wie auch die Materie und der Körper sind dem unter geordnet. Der Geist und das Wissen seien unvergänglich und sie verlassen den Körper wie ein Mensch nach dem Tod, der aus seinem brennenden, unbrauchbaren Haus einfach fortgeht oder wie eine Schlange, die sich häutet und die alte Haut zurück lässt.
Nach diesen Erläuterungen des Mannes aus dem Süden sah der große Landesmeister seine Meinung leider bestätigt, dass im Süden häufig irrige Lehren des Buddha-Dharma verbreitet werden. Er bedauerte, dass dadurch die Schüler der jeweiligen sog. Meister in ganz unklarer Weise unterrichtet werden und eine völlig falsche Richtung auf dem Buddha-Weg einschlagen müssten. Damit sei der wahre Buddha-Dharma im Süden verloren gegangen. Denn die wahre Lehre überschreitet das Bewusstsein und die Wahrnehmung des Sehens, Hörens, Fühlens und das Wissen. Wenn wir nur unsere Sinnesorgane oder das Denken benutzen, können wir nämlich nicht die dann wirksamen viel zu engen Grenzen überschreiten und haben keinen Zugang zum wahren Buddha-Dharma. Diese Lehre des Südens sei also eigenes zweifelhaftes Wunschdenken und einseitiger Glauben der selbsternannten Meister. Diese können die große unfassbare Wahrheit nicht annähernd ausloten, die von Gautama Buddha und den großen Vorfahren im Dharma gelehrt und übermittelt wurden.
Wie erwähnt bezeichnet Nishijima Roshi den Bereich des Denkens und der Ideen als Idealismus und den Bereich der Wahrnehmung und der Sinnesreizungen als Materialismus. Beide Lebensphilosophien sind für sich genommen zwar nicht ganz falsch, aber sie sind einseitig und eindimensional und können der Vielfalt des wunderbaren wirklichen Lebens im Universum und der umfassenden Wahrheit in keiner Weise gerecht werden. Wer sich also in seinen Leben nach einer dieser beiden einseitigen Lebensphilosophien richtet und sich diese zu eigen macht, wird aus dem nicht endenden Kreislauf des Leidens und der oberflächlichen Scheinfreuden nicht heraus kommen. Er klammert sich also an einen Strohhalm, der bei ehrlicher Betrachtung überhaupt nicht tragen kann. Daher muss zunächst unbedingt die dritte Lebensphilosophie des Handelns im Hier und Jetzt je im gegenwärtigen Augenblick hinzukommen. Die höchste vierte buddhistische Lebensphilosophie umfasst dann sowohl die drei genannten, geht aber darüber weit hinaus. Auf dieser Stufe gibt es die Einheit und Harmonie mit der Moral und den Gesetzen des Universums. Wenn man den Geist nur im Sinne des Idealismus also der Gedanken und daher in einer sehr eingeengten Lebensphilosophie versteht, kann auch der Satz: "Geist Hier und Jetzt ist Buddha" nicht mehr umfassend verstanden werden, weil ein solches begrenztes Verständnis der Wirklichkeit des Lebens und der Welt überhaupt nicht gerecht wird. Der Buddha-Dharma ist die Einheit von Theorie und Praxis und umfasst damit auch das Handeln und die Übungspraxis des Zazen im Hier und Jetzt. Er ist unauflösbar mit der Moral verbunden und beinhaltet die Tatsachen der Wirklichkeit und Wahrheit, so wie sie sind. Dabei wird nichts durch Glauben und Denken hinzugefügt und hinzu phantasiert aber auch nichts weggenommen, ausgewählt und selektiert. Dies wird im Buddhismus gern mit einem klaren Spiegel verglichen, der alles reflektiert was vor ihm erscheint, ohne etwas hinzuzufügen oder weg zu lassen. Es ist sicher kein Geheimnis, dass die Flucht der Menschen vor der Wirklichkeit und Wahrheit die Ursache der meisten geistigen und psychischen Leiden ist, die wir in der heutigen Zeit leider genauso beobachten wie früher. Gautama Buddhas Lehre führt aber gerade hinaus aus diesem Kreislauf des Leidens und öffnet uns für eine umfassende Wahrheit.
Den wahren Buddha-Geist können wir durch Denken allein nicht erfassen, sondern müssen ihn lebendig erfahren und erforschen, wobei uns das Streben nach der Wahrheit auf den richtigen Weg führt. Dieser Geist ist weit mehr als das Denken, denn er umfasst auch den Bambus, die Berge, Flüsse, die Erde, die Sonne, den Mond und die Sterne, also auch Dinge die wir im allgemeinen nur aus materialistischer Sicht betrachten. Dieser im Buddhismus gemeinte Geist ist also das Leben und Sterben selbst, ist das Kommen und Gehen, die Zazen-Praxis und das alltägliche Leben. Der Zen-Buddhismus lehrt immer ganz klar, dass wir lernen müssen, unsere Vorstellungen, Ideen und unser Denken von der Wirklichkeit selbst abzugrenzen und beides nicht zu verwechseln. Dôgen sagt daher:

"Wenn ihr den Willen zur Wahrheit noch nicht erweckt habt, noch nicht praktiziert, Bodhi noch nicht (verwirklicht) und Nirvana noch nicht (erfahren) habt, dann existiert "Geist Hier und Jetzt ist Buddha" nicht“.

Dieser Wille zur Wahrheit müsse nur in einem einzigen Augenblick oder in einem einzigen Molekül des Körpers vorhanden sein, damit er wirksam werde und sich der wahre Buddha-Geist verwirklicht. Dieser ist also viel umfassender als die genannte „Geist-Essenz“ des Brahmanen Senika und die Lehrmeinungen der damaligen sog. Meister des Südens von China. Der wahre Geist wird daher nicht zuletzt durch das Tun beim Willen zur Wahrheit im Einklang mit moralischem Handeln verwirklicht.

Weitere Informationen:

Der Mensch Gautama Buddha

Der Buddhismus ist die Lehre von der Wirklichkeit

Wirklichkeit im Buddhismus

Der Geist kann mit dem Verstand nicht erfasst werden (Shin fukatoku)

Wahres und reines buddhistisches Handeln (Gyôbutsu yuigi)