Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Wirkung des Karmas in den drei Zeiten (Teil 1)

In der Zeit Dogens war der Glaube weit verbreitet, dass es im Mahâyâna-Buddhismus unwichtig sei, ob man sich wirklich gut oder falsch verhält, also gutes oder schlechtes Karma macht.
Das buddhistische Gesetz von Ursache und Wirkung wurde damit beiseite geschoben. Moralisch falsches Verhalten wurde nicht in Bezug auf die Wirkung oder das Karma verstanden. Das Karma-Gesetz sei zwar im Theravâda (Hînayâna) verankert, aber dieser sei durch den Mahâyâna überholt. Was sagt Dogen zu dieser These?

In der sog. Kamakura-Zeit wurde der politische und militärische Schwerpunkt Japans von der alten Hauptstadt Kyoto nach Kamakura bei Tokyo verschoben und die Kriegerkaste der Samurai beherrschte weitgehend die Machtstruktur des Landes. In jener Zeit hat sich die militärische Kriegs-Tradition Japans mit dem Buddhismus eng verbunden. In der Tat kann die Lebens-Philosophie des Augenblicks und des Hier und Jetzt dazu verführen, dass man die Folgen seines Handelns nicht mehr wichtig nimmt und mit einer "selbst gezimmerten" Moral seine eigenen unmoralischen Taten beschönigt. Aber ist das noch Gautamas Buddhas authentischer Buddhismus?

Wir können auch annehmen, dass in der imperialistischen Epoche Japans in der neueren Zeit eine solche Ideologie bei der militärischen und politischen Führung vorherrschte, bis die katastrophale Niederlage im Zweiten Weltkrieg dem ein Ende setzte. Auch einige sog. Zen-Meister negierten das Karma-Gesetz von Ursache und Wirkung. Sie behaupteten z. B. dass auch grausames und willkürliches Töten im Krieg überhaupt keine negativen Wirkungen in Form des Karmas hätten und dass dies im Krieg „natürlich“ sei. Eine solche Lebenshaltung ist nach dem Buddha-Dharma grundsätzlich falsch und es kommt darüber hinaus immer auf die konkrete Situation an. Dogen betont ganz klar die Einheit von Moral und Handeln und damit die intuitive, ganzheitliche Wahrheit im Augenblick. Dies darf aber nicht dazu verleiten, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung abgelehnt oder für überholt erklärt wird.

Auch nach dem sog. gesunden Menschenverstand wird oft behauptet, es käme vor allem darauf an, dass böse Taten zum eigenen Vorteil nicht aufgedeckt würden und dass man dann ungeschoren oder sogar glücklich weiterleben kann. Dies sei für die moderne Gesellschaft ganz normal. In einigen Bereichen, wie z. B. im politisch administrativen Teilsystem der Gesellschaft, in dem es um die Macht geht, gilt es geradezu als intelligent, wenn die selbst erzeugten Ursachen des eigenen angestrebten Vorteils nicht erkennbar sind und man so „gute“ Machtgewinne erzielt.

Das selbe gilt im wirtschaftlichen Teilsystem, in dem es selbstverständlich und weitgehend moralisch anerkannt darum geht, den eigenen Gewinn zulasten anderer zu maximieren. Es heißt dann zum Beispiel: "Das ist intelligentes politisches oder wirtschaftliches Denken und Handeln." Eine moralische Abwägung in der konkreten Situation soll durch solche Sprüche offensichtlich gerade vermieden werden.

Der mittlere Weg des Buddhismus ist etwas anderes, ohne allerdings die politischen und wirtschaftlichen Bereiche unserer Gesellschaft zu verteufeln. Aber der politische Zweck eines Systems heiligt gerade nicht alle Mittel zur Ziel-Erreichung, wenn sie unmoralisch sind. Nach der buddhistischen Lehre ist das Gesetz von Ursache und Wirkung immer und ohne Ausnahme wirksam.

In diesem Kapitel (Kap. 84, Sanji-no-go), das zu den längeren im Shôbôgenzo gehört, erläutert Dogen das Karma-Gesetz für drei verschiedene Zeitstrecken. Häufig wird gegen dieses Gesetz nämlich eingewendet, dass die Wirkung nach der Tat nicht sofort und mit Sicherheit einsetzt, ganz gleich, ob diese nun positiv oder negativ ist. Deshalb sei das Gesetz fraglich. In diesem Kapitel wird von Dogen dargelegt, dass die Wirkung häufig später als erwartet eintritt; aber er betont, dass sie niemals ausbleibt. Er benutzt dabei das Gleichnis der Wiedergeburt in mehreren Leben, sodass eine positive oder negative Wirkung der Tat eventuell im nächsten Leben oder sogar erst nach vielen Wiedergeburten wirksam wird.

In diesem Zusammenhang sei an das Gleichnis des wilden Fuchses im grundlegenden Kapitel über das Gesetz von Ursache und Wirkung erinnert. Danach hatte ein Meister seine Schüler fälschlich oder zumindest unklar gelehrt, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung für einen erwachten und erleuchteten Menschen nicht gilt, weil er ganz im Augenblick leben würde. Die lineare Zeit, die von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft verläuft, gäbe es daher in Wirklichkeit überhaupt nicht und damit auch nicht das Karma-Gesetz.

Nishijima Roshi erklärt dazu, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung in der zweiten Lebensphilosophie der Naturwissenschaft und des Materialismus angesiedelt ist. Dort ist die lineare Zeit wirksam und auch diese ist ein wesentlicher Teil der Wirklichkeit. Dogen betont im jenem genannten Kapitel, dass das unerschütterliche und tiefe Vertrauen in dieses Gesetz wesentlich ist.

In dem hier behandelten Kapitel werden darüber hinaus verschiedene Gleichnisse für die drei zeitlichen Reichweiten des Karma-Gesetzes beschrieben. Die Wirkung tritt danach in verschiedenen Zeitspannen und eventuell zeitlich stark verzögert auf. Nishijima Roshi sagt dazu:

"Die Wirkung einer Handlung offenbart sich manchmal sofort. Manchmal nach einer kürzeren Zeitspanne und manchmal nach sehr langer Zeit. Im zweiten und dritten Fall ist es oft schwierig daran zu glauben, dass das ganze Universum vollständig durch das Gesetz von Ursache und Wirkung bestimmt ist."

Am Anfang dieses Kapitels wird ein Gespräch zwischen einem indischen Meister (19.ter Nachfolger im Dharma) und seinem Schüler, der später selbst sein Nachfolger wurde, zitiert. Der Schüler fragt den Meister:

"In meiner Familie glaubten mein Vater und meine Mutter immer (ohne Zweifel) an die drei buddhistischen Juwelen, aber sie mussten unter schlechter Gesundheit leiden und erlebten immer wieder Enttäuschungen bei ihren Unternehmungen. Eine Familie aus unserer Nachbarschaft hatte (demgegenüber) Berufe der Unberührbaren (Töten bei der Jagd, beim Schlachten und als Scharfrichter), aber sie waren immer bei guter körperlicher Gesundheit und ihr Handeln fügte sich harmonisch (in ihr Leben) ein. Warum haben sie ein gutes Schicksal und was ist unsere Schuld?"

Der Meister erklärte ihm daraufhin die Gesetzmäßigkeiten der drei Zeiten des Karma: kurz-, mittel- und langfristig und dass man nicht zu kurzfristig denken solle. Schlechte Taten werden nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung ohne jeden Zweifel auf den Täter zurückkommen, wenn man z. B. Lebewesen tötet, verletzt oder quält. Dies muss aber nicht zeitlich sofort nach der Tat folgen, sondern kann zeitlich später und verzögert auftreten. Diese Erklärung überzeugte den Schüler vollständig und seine Zweifel waren damit ausgeräumt. Er wurde später der Nachfolger und selbst ein großer buddhistischer Meister.

Das Karma-Gesetz wird häufig so erklärt, dass es wie der Schatten unauflösbar mit dem Menschen selbst verbunden ist. In gleicher Weise ist ein Geräusch oder Ton ohne jeden Zweifel mit der Schallquelle verbunden. Ursache und Wirkung weichen nach Dogen nicht um ein Hundertstel oder Tausendstel voneinander ab, selbst wenn Hunderttausende von Zeitaltern vergangen sind. Er sagt zu seinem eigenen Zeitalter, dass sehr viele Menschen in der Welt leben,

"die weder Ursache und Wirkung kennen, noch die karmische unauflösbare Koppelung verstehen. Sie kennen auch weder die drei Zeiten, noch können sie zwischen Gut und Schlecht unterscheiden."