Mittwoch, 10. Dezember 2008

Der Mönch in der vierten Meditationsstufe der Vertiefung, Teil 1 (Dhyana).

In diesem Kapitel (Kap. 90, Shizen-biku) geht es Dôgen um die irrtümliche Selbsteinschätzung eines Mönchs, der in der vierten Stufe der Meditation war und meinte, er sei ein großer, heiliger Arhat.


Tempel Kencho ji in Kamakura, Eingangstor
Im Theravada gibt es vier Stufen der buddhistischen Entwicklung bis hin zum Arhat, der als vollkommener Mensch wie ein Buddha in das Nirvana eingeht. Dôgen hatte in einem anderen Kapitel herausgearbeitet, dass es nur einen einzigen Buddhismus gibt, dass also eine Unterscheidung zwischen Mahayana und Theravada (Hinayana) irreführend sei.

Er nimmt hier außerdem eine Abgrenzung zu den chinesischen Philosophen Konfuzius, Laotse und anderen vor und betont die Einzigartigkeit von Gautama Buddha und seiner Lehre, die nicht mit den anderen Philosophen und Weisen verwechselt und vermischt werden dürfe.
In der Meditation erreicht man verschiedene Zustände von Körper und Geist, die dazu verführen können, dass man sich gemäß der Lehre des Theravada dauerhaft in einem der vier heiligen Zustände wähnt. Diese Zustände, die auch Wirkungen genannt werden, sind

erstens: „Stromeintritt“.
Damit ist gemeint, dass man in den Strom des Buddhismus eingetreten ist und nicht wieder zurückfällt.

Zweitens: „Einmal-Wiederkehr“. Dies bedeutet in der Lehre der Wiedergeburt (Reinkarnation), dass man nur noch einmal auf dieser Welt wiedergeboren wird, bevor man in das Nirvana eingeht.

Drittens: „Nicht-Wiederkehr“. Das bedeutet, dass man nicht noch einmal in dieser Welt wiedergeboren wird, also den Kreislauf der Geburten beendet hat. Dies war ein großes und angestrebtes Ziel des Theravada-Buddhismus, dass man nämlich den leidhaften Kreislauf der Wiedergeburten nicht wieder durchlaufen muss.

Viertens: die Stufe des „Arhat“. Dieser hat die höchste Form des Buddhismus erreicht, ist also ein vollkommener Mensch, wie Gautama Buddha selbst.

Nach Peter Gäng kann man die meditativen Vertiefungen wie folgt kennzeichnen:

1. Geistiges Erfassen und Durchdenken, Freude und Glücksgefühl in der Abgeschiedenheit.
2. Einheit und sogenannte „Einspitzigkeit“ des Geistes. Das geistige Erfassen und Durchdenken kommen zur Ruhe.
3. Klar bewusste Achtsamkeit. Die Freude macht dem alles durchdringenden tiefen Glücksgefühl Platz.
4. Das Glücksgefühl verschwindet, und es bleibt eine ruhige Achtsamkeit.

Es ist aber die große Frage, wann dies nur eingebildete Zustände der Menschen sind und wann sie der Wirklichkeit entsprechen. Wieweit verschmelzen sie mit unserem Alltag und verwirklichen sich im Handeln mit anderen Menschen? Oder sind sie vielleicht nur ein „Sonntagsgefühl“, das keine Kraft und Dauer hat?

Vereinfacht kann man sagen, dass diese meditativen Vertiefungen bestimmte Zustände in der begrenzten Zeit der Meditation sind. Diese dürfen nach Dôgen nicht mit der Wirklichkeit z. B. des heiligen Arhat verwechselt werden, die als Wirkung bezeichnet wird. Er sagt, dass es sich beim Arhat um die höchste Stufe des Erwachens handelt, die er auch Nirvana nennt.
Dôgen betont in diesem Kapitel, dass eine solche irrtümliche Verwechslung klar erkannt werden muss und warnt uns davor, dass wir uns in solche Zustände der Erleuchtung hineinträumen, die nicht die Wirklichkeit selbst sind.

Derartige Zustände sind dann Illusionen und müssen in Enttäuschungen oder sogar tiefer Verzweiflung enden. In der Meditation kann man in der Tat wunderbare Erlebnisse haben, aber das darf nicht dazu führen, dass man überheblich wird. In einem solchen Zustand wird das Ego oft immer größer. Einige Psychologen bezeichnen dies als „Ich-Inflation“, in der man glaubt, ein Heiliger zu sein und eventuell dabei sogar von seiner Umgebung bestätigt wird.

Dann ist der notwendige Lernprozess meist zu Ende und der Mensch entwickelt sich auf dem Weg des Buddha-Dharma rückwärts. Unter dem Deckmantel der eigenen Heiligkeit und spirituellen Großartigkeit macht sich in Wirklichkeit Rücksichtslosigkeit und Egoismus breit. Ein solcher Mensch ist kein Buddhist mehr und haftet an Ruhm, Anerkennung, Macht und wird oft sogar geldgierig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dann dieser Traum des Größenwahns durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit zerplatzt. Die Inflation des Egos bricht dann in sich zusammen!

Am Anfang des Kapitels zitiert er den großen Meister Nagarjuna wie folgt:

"Unter Buddhas Schülern gab es einen Mönch (Bhikshu), der die vierte Vertiefung in der Meditation (Dhyana) erlebte und sich sehr viel darauf einbildete. Er dachte, dass er dauerhaft die vierte (und höchste) Stufe (des Arhat) erlangt hatte.

Bereits als er die erste Stufe der Vertiefung in der Meditation erreicht hatte, dachte er, er hätte den ersten (dauerhaften) Zustand des großen Stromeintritts erlangt. Als er die zweite Vertiefung in der Meditation erlebte hatte, dachte er, dass dies der wirkliche Zustand der Einmal-Wiederkehr sei. Und als er die vierte Vertiefung in der Meditation erlebte hatte, dachte er, dass es die (wahre und dauerhafte) Wirkung der Arhatschaft sei. Deshalb wurde er sehr stolz auf sich selbst und versuchte nicht, weiter (auf dem Buddha-Weg) voranzukommen.
Als sich sein Leben dem Ende zuneigte, hatte er jedoch die Vision, dass auf ihn nur die Form einer mittleren Existenz zukommt. Diese gilt für (einen Menschen, der) die vierte Vertiefung in der Meditation (zwar erlebt hat, aber kein Arhat ist). Dies erzeugte in ihm eine ganz falsche Sichtweise. "


Er dachte: "Dies ist nicht Nirvana. Der Buddha hat mich getäuscht!" Deswegen wurde dieser Mönch dann sogar in der Avici-Hölle wiedergeboren. Buddha sagte ihm, dass sein Leben eines einsamen Mönches nun zu Ende sei. Der Mönch wollte sich damit aber nicht abfinden und sagte, dass er doch in Zazen gesessen und die Gelöbnisse eingehalten habe. Buddha sagte zu ihm: "Alles beruht auf deiner Einbildung." Als er die vierte Vertiefung in der Meditation erlebt hatte, dachte er, dies wäre die vierte und höchste Stufe (eines erleuchteten Arhat). Der Mönch dachte aber nach wie vor, dass er ein Arhat sei. Nun sei er wiedergeboren, aber Buddha habe ihn getäuscht.“
Gautama Buddha verfasste dazu folgende Verse:

"Trotz seines umfangreichen Wissens, der Beachtung der Gelöbnisse und der Meditation
hätte er aber (unbedingt) noch den (wahren) Dharma erlangen müssen, durch den die Maßlosigkeit beendet wird.
Obgleich er die obigen Tugenden besaß,
war es für ihn schwer, an die Tatsache (seiner eigenen Maßlosigkeit) zu glauben.
Dass er in die Hölle fiel geschah, weil er den Buddha verleumdet hat.
Dies war jedoch nicht mit der vierten Vertiefung in der Meditation verbunden."


Dôgen erklärt, dass es bei dieser Geschichte darum geht, dass jemand die Vertiefung in der Meditation mit der Wirklichkeit auf dem Wege zum Arhat verwechselt. Besonders gefährlich sei es, wenn man stolz und eingebildet wird. Man glaubt dann, ein heiliger Arhat zu sein, dies sei aber tiefgehende Illusion. Als Folge ist man nicht mehr lernfähig auf dem Buddha-Weg. Dôgen beschreibt in einem anderen Kapitel die notwendige Weiterentwicklung nach dem Erwachen und unterstreicht, dass man immer weiter Zazen praktizieren und an seinem Verhalten arbeiten müsse. Dies gilt auch, wenn man die Erleuchtung erlangt habe und ein großer Meister oder Buddha sei.

Dôgens Warnung müssen wir in der Tat sehr ernst nehmen, denn es gibt in den buddhistischen Gruppen immer wieder Menschen, die fest davon überzeugt sind, dass sie erleuchtet sind und den höchsten menschlichen Zustand dauerhaft erreicht haben. Dôgen warnt hier ausdrücklich davor, dass auch die Praxis des Zazen keine absolute Sicherheit vor einem solchen Irrtum gibt. Jede Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit aufgrund der Tatsache, dass man die Gelöbnisse einhält, sei völlig unangebracht und blockiere die weitere positive Entwicklung.

Er betont außerdem, dass der obige Mönch sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat und keinen verlässlichen Lehrer habe. Eine solche Isolation führt oft zur Überschätzung des eigenen buddhistischen Entwicklungsstandes und werde zum Feind der buddhistischen Lehre und Praxis. Der lebendige, ehrliche Austausch mit anderen Mitgliedern der Sangha, vor allem mit einem wahren Lehrer, ist nach Dôgen unbedingt erforderlich, um die geschilderte Sackgasse des Buddha-Weges zu vermeiden. In einem solchen Fall werde Richtig und Falsch verwechselt und man haftet an seinen eigenen überzogenen subjektiven Vorstellungen und an dem Stolz auf sich selbst.Er fasst noch einmal die Fehler des obigen Mönches zusammen: Er besaß keine Klarheit, um den Unterschied der vierten Vertiefung während der Meditation einerseits und den wirklichen Zustandes eines wahren Arhat andererseits zu erkennen.

Er verließ ohne erkennbaren Grund seinen Lehrer und lebte isoliert in der Einsamkeit. Er hatte auch keinen stetigen Kontakt zu einem Ort des Buddhas und hörte nicht regelmäßig den wahren Dharma. Durch eine solche isolierte Lebensweise verliert der Mensch völlig das Einschätzungsvermögen, wie es um ihn steht, und gerät leicht in arrogante Selbstüberschätzung und wähnt sich in dem höchsten heiligen Zustand im Buddhismus.

Die Fehler der eingebildeten eigenen Heiligkeit sind dann unvermeidbar. Unzureichendes Wissen der buddhistischen Lehre, mangelnde Einschätzung von sich selbst und nicht zuletzt die Trennung von einem wahren Lehrer sind die wesentlichen Ursachen für diese Fehlentwicklung. Von großer Bedeutung sei es, eigene Irrtümer klar zu erkennen und daraus zu lernen.