Sonntag, 13. Dezember 2009

Verlassen des Familienlebens für den Buddha-Weg (Shukke), Teil 1


Dogen hat im Shobogenzo in zwei verschiedenen Kapiteln beschrieben, wie wichtig es ist, das übliche Familienleben in der sozialen Gesellschaft zu verlassen, um sich dem Buddha-Dharma zu widmen. Das erste dieser Kapitel wurde zu seinen Lebzeiten im Jahre 1246 verfasst und ist recht kurz und kompakt gehalten.
Ein zweites Kapitel wurde erst zwei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht und ist sicher von seinem Nachfolger Ejo aus dem Nachlass zusammengestellt, veröffentlicht und eventuell auch von ihm bearbeitet worden. Wir wissen, dass Dogen durch Krankheit und Tod seinen Plan nicht mehr vollenden konnte, einige neue Kapitel seiner tiefgründigen und umfassenden buddhistischen Lehre und Praxis auszuarbeiten.
Als Vorbereitung für die endgültige Fassung im Shobogenzo sammelte er umfangreiches Material und viele Zitate aus verschiedenen Sutras, um sie dann zu kommentieren, neu auszuloten und zu interpretieren. Wir wissen, dass Dogen insgesamt 100 Kapitel für das Shobogenzo vorgesehen hatte, davon enthält die heutige umfangreiche Fassung insgesamt 95 Kapitel.
Eine tiefgründige und umfangreiche Ausarbeitung ist bei einigen nach seinem Tode veröffentlichten Kapiteln nicht immer erkennbar, vermutlich weil Meister Ejo im Wesentlichen die gesammelten Originaltexte der Sutras verwendete, weil Dogens eigene Ausarbeitungen nicht vorlagen.
Besonders in der Zeit von Gautama Buddha war es im alten Indien nicht selten, dass die Sucher nach der Wahrheit ihr soziales und familiäres Leben verließen, um zu großen Meistern zu gehen. Sie wollten sich von den Zwängen des gewöhnlichen Lebens befreien und sich ganz der spirituellen Wahrheit widmen.
Buddha selbst hat bekanntlich auch diesen Weg der Sucher gewählt und ist freiwillig aus einem recht angenehmen wohlhabenden und auch Erfolg versprechenden sozialen Leben ausgestiegen. Er hätte mit seinen großartigen Begabungen zweifellos auch den Weg des politischen und ökonomischen Erfolges wählen können. Es gab die Weissagung, dass er dann ein großer König und Herrscher über viele Länder in Indien geworden wäre.
Er lebte in einer Zeit des politischen, sozialen und religiösen Umbruchs, in der sich kleinere Königreiche einigen wenigen expandierenden Machthabern unterwerfen mussten, sodass große zentral beherrschte Reiche entstanden. Buddha wählte jedoch nicht den politischen Weg und entwickelte die, wie wir glauben, einzigartige und geniale Lehre, die wir heute als Buddhismus bezeichnen. Als er neunundzwanzig Jahre alt war, erlebte er das große Erwachen oder, wie es heute heißt, die tiefe Erleuchtung. Er hatte diesen Weg gewählt, um für andere und sich selbst die Befreiung aus den Ängsten, Täuschungen und Leiden des menschlichen Daseins und Handelns zu finden.

Im Buddhismus wird daher seit alters her sehr hoch geschätzt, wenn jemand sich ganz dem Weg der Wahrheit widmet und sein übliches, soziales Familienleben verlässt, um sich ganz auf sein großes Anliegen zu konzentrieren. Dies ist in Zeiten des politischen, wirtschaftlichen und religiösen Umbruchs häufiger zu beobachten, als in sicheren Zeiten. Wir können sogar sagen, dass die Zeiten Gautama Buddhas durchaus Ähnlichkeiten mit der sogenannten Postmoderne im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg haben.

Nishijima Roshi betont, dass wir das Verlassen des Familienlebens nicht unbedingt zu eng und dogmatisch verstehen sollen, sondern dass es vor allem darum geht, die Fesseln und Bindungen eines unreflektierten sozialen Lebens in der jeweiligen Epoche zu überwinden. Dabei ist die Befreiung von der Gier nach Reichtum, Ruhm und Macht besonders wichtig, um dadurch die eigene Unwissenheit zu überwinden. Dies sei die eigentliche Bedeutung des von Dogen beschriebenen Entschlusses, das Familienleben zu verlassen.
Gerade in Zeiten des Materialismus, des religiösen Niederganges und der Gier nach allen möglichen dinglichen Genüssen, Ablenkungen und der oberflächlichen Unterhaltung, ist es von großer Bedeutung, sich von diesen Zwängen freizumachen und von den scheinbar unumstößlichen Regeln der Gesellschaft zu distanzieren. Die Formulierung: "Verlassen des Familienlebens", ist daher so zu verstehen, dass wir im buddhistischen Sinn die gesellschaftlichen und psychischen Zwänge hinter uns lassen.