Dienstag, 25. Mai 2010

Das Handeln im Augenblick




Dôgen sagt im Shôbôgenzô: „Wenn wir mit dem Handeln vertraut werden und zu diesem konkreten Ort zurückkommen, wird die Wahrheit offensichtlich, dass die unzähligen Dharmas (Dinge und Phänomene) etwas anderes als unser (gedachtes permanentes) Ich sind.“

Damit eröffnet Dôgen das Verständnis für die Wirklichkeit des Handelns im Hier und Jetzt. Das Handeln findet immer genau im Augenblick statt, und wenn wir unsere Vorstellungen über ein permanentes Ich beiseitelassen, wird uns klar, dass die Wirklichkeit der Dinge und Phänomene, die Dôgen als „unzählige Dharmas“ bezeichnet, etwas anderes ist als ein solches dauerhaftes und abgegrenztes Ich.

Beim Handeln geht es um das Tun im Augenblick, genau an diesem Ort und im jetzigen Zeitpunkt. Der Glaube an ein permanentes Ich ist dabei nicht nur überflüssig und störend, sondern auch falsch, besonders wenn es mit Emotionen wie der eigenen Unfähigkeit oder der eigenen Überlegenheit aufgeladen ist.

Die Dharmas, also die Vielfalt der Formen und Farben und der materiellen sowie psychischen Elemente, gehören nach Nishijima Roshi zur Lebensphilosophie des Materialismus, die uns gerade durch das Handeln als Wirklichkeit erst richtig klar wird. Denn auch das Materielle ist eine maßgebliche Dimension der Welt, und eine ideologische grundsätzliche Ablehnung wäre eine fatale Sackgasse. Das heißt natürlich gerade nicht, dass wie von materieller Gier getrieben und beherrscht werden!
Auf diese Weise können wir unsere Missverständnisse und Täuschungen des Idealismus verlassen und erkennen den Zusammenhang der Dinge und Phänomene mit unserem wahren Selbst, das einerseits die Ich-Grenzen gesprengt hat und andererseits die unendliche Vielfalt der Welt ganz genau beobachtet. In dieser Dimension wurden im Westen auch die großen Fortschritte der Naturwissenschaften und Technik entwickelt, die über eine ausgefeilte Methodik der Überprüfung und Kontrolle der Ergebnisse verfügen. Nishijima Roshi stellt dazu fest:

„Wenn wir sehr vertraut mit unserem eigenen Handeln selbst sind, wird der Grundsatz vollkommen klar, dass das ganze Universum (materiell) etwas anderes ist als unser (permanentes) Ich. Wenn unser Handeln nicht so klar über die Trennung vom Universum ist, mag es insgesamt eine ziemlich unklare Situation sein.“
Dôgen beleuchtet im obigen Zitat die materielle Dimension und fordert uns damit indirekt auf, die Welt und die unzähligen Dinge und Phänomene sehr genau zu beobachten. Eine solche gründliche Analyse ist im Zusammenhang mit unserem konkreten Handeln besonders gut möglich und erlöst uns von spekulativen Gedankenblüten. Wir erkennen dann, dass unser Ich nicht konstant und unbeweglich ist. Ohne konkretes Handeln und genaue Beobachtung kann es uns passieren, dass wir in unserem Denken und unserer Vorstellung einem „Einheitsbrei“ von Universum und Selbst Glauben schenken und es unterlassen, unsere Umwelt und uns selbst genau zu beobachten. In dieser Dimension sind daher das Universum und das handelnde Selbst zu unterscheiden.
Wer diese konkrete materielle Seite und Form der Wirklichkeit und Welt negiert, wird nach Nishijima Roshi niemals auf dem Weg des Buddha-Dharma vorankommen. Anders ausgedrückt, kann es überhaupt keine Erleuchtung geben, wenn wir ausschließlich auf die idealistische Denk- und Lebensweise fixiert sind. Wir verfallen dann dem mythischen und magischen Denken und weigern uns vielleicht sogar, die Bedeutung der Vernunft anzuerkennen. Eine solche Ideologie kann zum Beispiel für Mitglieder von Sekten mit charismatischen Führern, die dieser Lebensphilosophie anhängen, große Gefahren bergen und widerspricht dem Buddhismus ganz radikal.

Montag, 17. Mai 2010

Die Dharma-Übertragung


Dôgen sagt: „Wenn die Menschen zuerst den Dharma suchen, sind wir weit entfernt von den Grenzen des Dharma. (Aber) sobald der Dharma an uns authentisch übermittelt ist, sind wir Menschen in (unserem) ursprünglichen Element.“
Er teilt uns hier mit, dass wir zu Beginn des Buddha-Weges noch weit von der wahren buddhistischen Lehre entfernt sind und sie insbesondere noch nicht in der Praxis des Lebens verwirklicht haben. Wir kennen noch nicht einmal den Rand und die Grenzen des erwachten Zustandes. Dies sei im Lernprozess auf dem Buddha-Weg jedoch normal und wir sollten weder ungeduldig sein, noch mutlos und resigniert die Suche nach der Wahrheit aufgeben.

Wesentlich sei die Dharma-Übertragung von einem wahren Meister. Diese Übertragung zu erhalten, ist verständlicherweise heute im Westen nicht so einfach, da es nicht viele authentische Meister und Lehrer gibt. Laut Nishijima Roshi ist die Situation in Japan in dieser Hinsicht jedoch nicht viel besser. Er selbst schätzt sich außerordentlich glücklich, dass er Kodo Sawaki und Rempo Niwa als wahre Lehrer hatte.

Wenn wir den Buddha-Dharma verwirklicht haben, befinden wir uns in unserem ursprünglichen Zustand, oder wie es hier heißt, in unserem ursprünglichen Element. Damit kehrt der Mensch zu seinem natürlichen, offenen und freien Wesen zurück, das aber nicht individualistisch als abgegrenzter Ich-Kern verstanden werden darf. Es ist nämlich gerade dadurch gekennzeichnet, dass es den Dualismus überwunden hat. Dadurch sind die Ich-Grenzen ganz durchlässig geworden und geben uns eine ganz neue Freiheit.


Nishijima Roshi sagt dazu: „Wenn wir die Wahrheit des Universums suchen, tun wir dies meist, indem wir das Universum als etwas von uns Getrenntes ansehen und es von außen betrachten. Wenn wir aber im Gleichgewicht sind, können wir sofort direkt in der Wirklichkeit leben.“

Ein solches Gleichgewicht ergibt sich in der Zazen-Praxis des Shikantaza. Wir sollten daher jeden Tag Zazen praktizieren und nach einem wahren Lehrer suchen.

Dienstag, 11. Mai 2010

Zazen-Praxis als Tor zur Befreiung


Nach Auffassung des Zen-Buddhismus ist im Einklang mit Gautama Buddha die Zazen-Praxis unbedingt erforderlich, um aus der Welt der Gedanken, Illusionen, Hoffnungen, Depressionen und Selbstinszenierungen herauszufinden und klar zu erkennen, dass es sich dabei um Denkprozesse in unserem Gehirn und nicht die Wirklichkeit handelt. Dies wird umso schwerer, wenn Gier und Hass nicht mehr steuerbar sind und zur Triebfeder mentaler Prozesse und des Handelns werden.

Der Begriff „Zazen“ wird in den authentisch überlieferten Texten des frühen Buddhismus allerdings nicht erwähnt. Dennoch lässt sich dieser Zusammenhang herstellen. Im großen Sûtra der Achtsamkeit werden vier Stufen der Vertiefung, die in Sanskrit Samâdhi heißen, aufgezählt. Die vierte Stufe ist nach Dôgen „der König der Samâdhis“.
In der Zazen-Praxis lassen wir die Vorstellungen, Illusionen und Täuschungen von Körper und Geist fallen und erleben „den Frieden und die Freude des Dharma“. Daraus erwachsen starke korrigierende und heilende Kräfte in unserem Leben, sodass die Anhaftungen oder das Anhangen, wie es Peter Gäng nennt, aufgehoben werden. Dadurch ändern sich natürlich nicht alle objektiven Gegebenheiten unseres Lebens, aber sie erhalten einen neuen Glanz und eine neue Freiheit.
Dies ist eine zentrale Botschaft Gautama Buddhas, die in alle Welt ging und so viele Anhänger gefunden hat.
Nach Nishijima Roshi kann man die Vorgänge beim Zazen durch die moderne Physiologie als Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems interpretieren, das genau dem Mittleren Weg im Buddhismus entspricht. Dieses Gleichgewicht ist gekennzeichnet durch eine kraftvolle und ruhige Energie. Keinesfalls sollte die Zazen-Praxis als schmerzhafte Askese betrieben werden.
Dôgen und Nishijima Roshi betonen, dass es ohne diese Praxis kaum möglich ist, im Einklang mit der buddhistischen Ethik zu handeln und zu leben. Tatsächlich ist es immer wieder erstaunlich, wie Menschen das eigene, falsche und oft egoistische Handeln und Denken begründen und dabei scheinbar stichhaltige, moralische Gründe anführen, die jedoch im Kern unwahr sind. Wie viele Menschen zeigen moralisch entrüstet auf das Handeln anderer und sind gleichzeitig kaum in der Lage, ihren eigenen Motiven auf die Schliche zu kommen, die ihr Denken und ihre Emotionen wirklich antreiben. Daraus können wir ableiten, dass die Lebensphilosophie des Denkens, der Lehre und Theorie allein nicht ausreicht, um unsere Probleme wirkungsvoll angehen zu können. Mit dem eigenen Denken allein ist es überhaupt nicht möglich, Verdrängungen aufzulösen, also im Sinne der Psychoanalyse aus dem Unbewussten ins Bewusstsein zu holen und dadurch die Bewältigung des Lebens zu verbessern. Zazen ist der richtige Weg, um das eigene Pseudo-Ich zu verlassen.