Sonntag, 31. Juli 2011

Wirkliche Erfahrung der Buddha-Wahrheit





Jemand fragt Dōgen kritisch: „Genau zu wissen, dass der Buddha-Dharma in jedem von uns ursprünglich zu Hause ist, ist das Ganze des Erlangens der Wahrheit. Es gibt keinen Bedarf, irgendetwas anderes bei anderen Menschen (z. B. Lehrern) zu suchen. Wie viel weniger müssen wir uns darum kümmern, die Wahrheit im Zazen anzustreben (und mühsam zu praktizieren).“


Dōgen weist dieses Argument mit ungewöhnlicher Schärfe zurück. Selbst sehr intelligente Menschen können den Dharma nicht theoretisch erfahren, ohne zu praktizieren und in der Praxis zu lernen. Gerade bei intelligenten Denkvorgängen gerate man unversehens in die Falle der Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, also dem Menschen, der denkt, und dem Thema oder dem Ding, über das er nachdenkt.


Dies gelte nicht zuletzt für den Gedanken, dass wir selbst Buddha sind. Und er fügt noch hinzu: „Shākyamuni hätte sich nicht so sehr bemüht, in der Vergangenheit den moralischen (und realen) Weg zu lehren.“ Denken – und sei es noch so scharfsinnig – kann nicht außerhalb der Praxis und Ethik zur Befreiung des Menschen führen. Denken ist zwar ein wichtiges Werkzeug im Leben der Menschen, aber es ist bei weitem nicht ausreichend!


Mit einer bekannten, aber nicht ganz einfach zu verstehenden Kōan-Geschichte vertieft Dōgen die Darstellung des Unterschieds zwischen der verstandesmäßigen Buddha-Theorie und der wahren ganzheitlichen Lehre-und-Praxis. Er schildert einen Dialog zwischen dem großen Meister Hōgen, der von 885 bis 958 lebte und die bekannte Hōgen-Linie begründete, und einem Mönch namens Soku:


Zen-Meister (Hōgen) fragte (seinen Mönch Soku): „Aufgrund welcher Worte konntest du (in den Dharma) eintreten?“
Dieser berichtete als Antwort eine frühere Begebenheit: „Ich fragte einst (meinen damaligen Meister) Seiho: ´Was ist genau der Schüler, der das Ich ist?´“


(Meister) Seiho erwiderte mir damals: „Die Kinder des Feuers kommen, um nach dem Feuer zu suchen.“ Was ist damit gemeint?
(Meister) Hōgen sagte dazu: „Schöne Worte. Aber ich fürchte, dass du (sie) wohl nicht verstanden hast.“
(Der Mönch) Soku erklärte daraufhin sein Verständnis:

„Die Kinder des Feuers gehören zum Feuer. (Daher) habe ich verstanden, dass sie (selbst) das Feuer sind, aber (ganz unnötig trotzdem) nach dem Feuer suchen. Damit wird ausgedrückt, dass ich selbst bereits das Ich bin, aber trotzdem nach meinem Ich suche.“

Das klingt durchaus zunächst einleuchtend. Aber Zen-Meister (Hōgen) war ganz anderer Meinung und sah seine Skepsis vollauf bestätigt:
„Nun bin ich sicher, dass du es nicht verstanden hast. Wenn der Buddha-Dharma so wäre, könnte er niemals bis zum heutigen Tag übertragen worden sein (weil er keinen großen Wert hätte).“

Dadurch geriet Soku in große Verwirrung, verfiel in Zweifel und stand abrupt auf, um den Meister zu verlassen. Er war tief verletzt, verlor fast seinen bisherigen Halt im Leben und lief davon. Aber auf der Straße besann er sich: “Zen-Meister (Hōgen) wird im ganzen Land (als) guter Lehrer (hoch geachtet) und ist ein großer Meister, der 500 Menschen anleitet. Es muss sicher etwas Richtiges und Gutes an seiner Kritik wegen meiner Fehler sein.“


Er ging zurück zum Meister, wollte ernsthaft weiter lernen und gestand seinen Fehler der Selbstüberschätzung ein. Er machte als Entschuldigung eine Niederwerfung. Dann fragte er den Meister das selbe wie früher:
„Was ist genau der Schüler, der das Ich ist?“

Der Zen-Meister gab verblüffender Weise genau die selbe Antwort: „Die Kinder des Feuers kommen, um nach dem Feuer zu suchen.“
Mit der direkten klärenden Energie und Gegenwart des Meisters und seiner Worte, verwirklichte Soku den Buddha-Dharma auf großartige Weise. Ihm war klar geworden, dass Theorie verbunden mit intellektuellem Hochmut niemals die Buddha-Wahrheit ist.