Montag, 30. Mai 2011

Ist der Geist unabhängig vom Körper?



Ein Kritiker sagt zu Dōgen:

„Wir sollten uns beeilen, den Grundsatz zu verstehen, dass die geistige Essenz ewig ist. Selbst wenn wir unser ganzes Leben mit sinnlosem Sitzen (im Zazen) verbringen: Was können wir erwarten, dabei zu erlangen? Die Lehre, die ich beschreibe, ist im Einklang mit der Wahrheit der Buddhas und der Vorfahren im Dharma. Ist sie das nicht?“


In dieser Frage geht es um die altindische Lehre, dass der Geist ganz unabhängig vom Körper ewig existiert. Im Brahmanismus wurde ein solches rein geistiges Verstehen als maßgeblich für die Befreiung gelehrt. Man war deshalb der Überzeugung, dass man sofort die Erleuchtung erlangen und später in das Nirvāna eingehen würde, wenn man die Lehre der „ewigen Essenz“ erst einmal verstanden hatte.


Diese Auffassung wird vom Zen-Buddhismus jedoch nicht geteilt. Dōgen antwortet deshalb im Gegenteil unmissverständlich:

„Diese Sichtweise, die (hier) ausgedrückt wird, ist nie und nimmer Buddhas Dharma, es ist die Sichtweise des Nicht-Buddhisten (und Brahmanen) Senika.“

Auch im Kapitel zur Frage von Leben und Tod widerlegt Dōgen diese Trennung von Körper und Geist, ebenso im Kapitel „Der Geist hier und jetzt ist Buddha“. Zudem hält er es für eine völlig irrige Annahme, dass allein durch die gedankliche Vorstellung, dass der Geist ewig sei und sich vom Körper nach dem Tode ablöst, alle gravierenden Probleme des Lebens gelöst würden.


Es ist historisch überliefert, dass sich Gautama Buddha von dieser Lehre grundsätzlich distanzierte, da sie zwar eine schöne Illusion sei, aber der Wirklichkeit nicht entspreche und daher keine Befreiung vom Leiden bringen könne. Der große chinesische Landesmeister Echu, der Nachfolger von Daikan Enō, hat dies ebenfalls sehr klar herausgearbeitet. Die Befreiung vom Leiden gibt es nicht zum Nulltarif!


Die obige brahmanische Lehre ist ein typisches Produkt des Idealismus, also der durch Denken und Wollen festgelegten erträumten Ideenwelt, die aber irgendwann in die Sackgasse führt und zusammenbricht. Nishijima Roshi bekräftigt ebenfalls, dass man durch mentales Verstehen allein nicht zum wahren Buddhismus gelangen kann:


Der Buddhismus kann niemals zu irgendeiner Art von intellektueller Philosophie gehören und daher kann die buddhistische Erleuchtung niemals Teil von intellektuellem Verstehen sein, sondern ist genau ein (gleichzeitiger) physischer und mentaler Zustand von Körper-und-Geist.“

Und er fasst sein Grundprinzip noch einmal folgendermaßen zusammen:


„Die Erleuchtung kann niemals intellektuelles Verstehen sein.“

Sonntag, 22. Mai 2011

Die Erleuchtung ist das wahre Selbst




Die Zazen-Praxis kann mit Worten nicht beschrieben werden, maßgeblich ist das Handeln selbst. Dōgen vertieft diesen Gedanken in seinen folgenden Ausführungen:


„Weil die Praxis genau die Erfahrung (der Verwirklichung) ist, hat die Erfahrung kein Ende, und weil die Erfahrung die Praxis ist, hat die Praxis keinen Anfang. Auf diese Weise wurden sowohl der Tathāgata Shākyamuni als auch der ehrwürdige Vorfahre im Dharma, Mahākāshyapa, durch die Praxis empfangen, sie haben diese benutzt und sie existiert (wirklich) im Zustand der Erfahrung.“



In der Zazen-Praxis erfahren wir unseren ursprünglichen Zustand und unser wahres offenes Selbst, das ist die große Klarheit. Dieses Selbst hat keinen Anfang und kein Ende, weil sein natürlicher Zustand ja von Anfang an in unserem Leben besteht und bis zu unserem Ende reicht. Nur wenn die Erleuchtung als etwas Getrenntes von unserem wahren Selbst aufgefasst wird, gebe es einen Anfang und ein Ende. Eine solche Auffassung ist aber nach Dōgen und Nishijima Roshi nicht korrekt.



Im obigen Zitat stellt Dōgen fest, dass auch Gautama Buddha und Mahākāshyapa das wahre Selbst empfangen haben, indem sie Zazen praktizierten. Das ist eine klare Aussage! Diesen wahren Zustand haben sie dann in ihren Arbeiten und in ihrer Lehre benutzt. Damit kommt Dōgen auf seine zentrale Aussage zurück:



„Im Zazen empfangen wir das Selbst und benutzen es.“


Er wendet sie sogar auf Buddha und Mahākāshyapa an.
Außerdem mahnt er:


„Denkt daran, dass wir auch in dem Zustand der Erleuchtung praktizieren sollten.“


Nishijima Roshi erklärt hierzu, dass man die Erleuchtung niemals verlieren kann, wenn man jeden Tag die Zazen-Praxis fortsetzt.


Da laut Dōgen keine Trennung zwischen Praxis und Erleuchtung besteht, kann man auch sagen, dass Erleuchtete immer praktizieren, also Zazen fortsetzen. Nishijima Roshi fügt in pointierter Weise hinzu:



„Wir sollten daher denken, dass wir immer genau erleuchtet sind, wenn wir im Zazen sitzen.“


Wenn sogenannte Meister behaupten, sie müssten nicht mehr praktizieren, weil sie schon erleuchtet seien, unterliegen sie also einem grundlegenden Irrtum.

Montag, 16. Mai 2011

Die strahlende Klarheit im Buddhismus (Kômyô)

Die japanische Bezeichnung dieses Kapitels lautet Kômyô, wobei Kô strahlend und hell bedeutet und myô die Klarheit ist.


Im Buddhismus wird die strahlende Klarheit der ganzen Welt und des Universums gelehrt, an der die Menschen teilhaben können, wenn sie nach der Lehre von Gautama Buddha praktizieren, handeln und leben. Dann sind sie in der leuchtenden Wirklichkeit des Hier und Jetzt. Sie verlieren sich nicht in idealistischen Träumereien.


Materiell orientierte Menschen haben kein Verständnis für religiöse oder idealistische Ziele, sondern erhoffen sich von materiellen Gütern und Reichtum das Glück auf dieser Erde, weil dies das einzige Reale sei. Mit einer materiellen Weltsicht kann man aber die strahlende Klarheit nicht erfahren. In der buddhistischen Lehre werden diese beiden Lebensdimensionen als einseitig angesehen.


Meister Dôgen erklärt in diesem Kapitel, dass das ganze Universum klar und strahlend ist und dass wir durch den Buddha-Dharma und die Übungspraxis daran teilnehmen können.


Durch die Lehre des reinen Handelns und des Gleichgewichts im Hier und Jetzt können wir uns für die strahlende Klarheit öffnen. Unser Körper und Geist erfahren dadurch nach Dôgen eine unerwartete Stärkung durch Energien, die wir uns vorher nicht ausdenken konnten und die sich jäh ereignen. Er zitiert dazu einen alten Meister:


„Das ganze Universum der zehn Richtungen ist die Strahlende Klarheit des Selbst.
In der strahlenden Klarheit dieses Selbst existiert das ganze Universum der zehn Richtungen.
Im ganzen Universum der zehn Richtungen gibt es keinen Einzigen Menschen, der nicht dieses Selbst ist.“

Nach der alten indischen Lehre besaßen das Universum und die Welt zehn konkrete Himmelsrichtungen. Diese werden hier mit dem Selbst in strahlender Klarheit gleichgesetzt. Das Selbst ist nicht das abgegrenzte Ich des Egoismus, sondern hat die Trennung von Subjekt und Objekt und damit den Dualismus überwunden und sich zum ganzen Universum hin geöffnet. Es bildet eine großartige Einheit mit ihm, mit der Natur und mit andren Menschen. Bei dieser Öffnung entsteht nach dem obigen Zitat die strahlende Klarheit.


Dieses so verstandene Selbst ist in allen Menschen ausnahmslos vorhanden und wirksam. Es sei jedoch erforderlich, diese Buddha-Wahrheit in der Praxis und mit Ausdauer zu erlernen. Wenn man nicht mit voller Ernsthaftigkeit handelt, entfernt man sich immer mehr von dieser Wahrheit. Doe Strahlende Klarheit gibt es nicht zum Nulltarif. Dôgen sagt hierzu:
Der Buddhismus wurde zuerst im ersten und zweiten Jahrhundert nach China gebracht, allerdings ohne die Praxis des Zazen. Dort kam es zu einigen tief greifenden Auseinandersetzungen mit dem bis dahin vorherrschenden Daoismus. Als Meister Bodhidharma Anfang des sechsten Jahrhunderts als authentischer Dharma-Nachfolger in der direkten Linie von Gautama Buddha nach China kam und den Dharma an seinen eigenen Schüler Taiso Eka weitergab, war dies laut Dôgen ein


„historisches Ereignis der strahlenden Klarheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma. Davor hatten die Menschen (in China) die Klarheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma weder gesehen noch davon gehört. Wie hätten sie ihre eigene strahlende Klarheit erkennen können?“


Mit Bodhidharma kam die buddhistische Praxis nach China, wo bis dahin nur die theoretische Lehre vorgeherrscht hatte, der nach Dôgen die Einheit von Theorie und Praxis fehlte. Die strahlende Klarheit des Buddhismus ist genau diese Verschmelzung von theoretischer Lehre und der Praxis des Zazen sowie des Handelns im Alltag. Die strahlende Klarheit ist also keine schöne Vorstellung, kein Wunschdenken und keine Flucht aus der Wirklichkeit.


In dem ZEN- Gesprächskreis Berlin haben wir gestern dieses Thema behandelt, ein Zusammenschnitt ist in Youtube zugreifbar:





Sonntag, 8. Mai 2011

Zazen-Praxis für Einsteiger und Fortgeschrittene

Die nächste Frage an Dōgen stellt zur Debatte, ob die Zazen-Praxis auch für erfahrene Meister notwendig ist. Dass sie für Anfänger sinnvoll ist, sei ja unbestritten. Dōgen antwortet entschieden:

„Der (falsche) Gedanke, dass Praxis und Erfahrung keine Einheit sind, ist nur die Vorstellung von Nicht-Buddhisten. Im Buddha-Dharma sind Praxis und Erfahrung (der Verwirklichung) vollständig identisch. Die (richtige Praxis) ist daher jetzt auch die Praxis im Zustand der Erfahrung.“

Dass Praxis und die Erfahrung der Verwirklichung im Zazen eine Einheit im Hier und Jetzt bilden, erscheint zunächst nicht so selbstverständlich, ist aber ein zentraler Punkt der wahren buddhistischen Lehre. Die Erfahrung der ersten Erleuchtung tritt danach genau im Augenblick des wahren Zazen auf, ist also nichts, was wir für die Zukunft erstreben, und ist kein Kampf um die erhoffte spätere Erleuchtung. Dies gilt für Ensteiger, Fortgeschrittene und Meister!

Dies ist eine der wesentlichen ganzheitlichen Erkenntnisse, die Dōgen bei seinem Lehrer Tendō Nyojō lernte und die seine eigenen theoretischen Spekulationen zur Frage der Erleuchtung und der Buddha-Natur vollständig beendeten.
Da Körper und Geist nach der buddhistischen Lehre untrennbar miteinander verbunden sind, erfahren wir demnach die Erleuchtung beim Zazen als Gleichgewichtszustand von Körper-und-Geist. Nishijima Roshi erklärt dazu:

„In der buddhistischen Lebensphilosophie des Handelns ist es für uns unmöglich, das Handeln in zwei Bereiche aufzuspalten, nämlich in die Praxis einerseits und das Erfahren sowie Erleben andererseits. Handeln kann und muss immer als unteilbare Einheit existieren, ohne jede Trennung.“

Dōgen fährt mit seiner Antwort fort:

„Das Streben eines Anfängers nach der Wahrheit ist daher genau der (wahre) ganze Körper des ursprünglichen Zustandes der Erfahrung. Dies ist der Grund, warum (die buddhistischen Vorfahren im Dharma) lehren, keine gesonderte Verwirklichungs-Erfahrung außerhalb der Praxis zu erwarten. Sie lehren uns dies mit (ihrer klaren) praktischen Sorgfalt, die sie an uns weitergegeben haben. Der Grund dafür mag sein, dass (die Praxis selbst) einen direkten Zugang zum ursprünglichen Zustand der Erfahrung (der Erleuchtung) gibt.“
In manchen buddhistischen Übertragungslinien besteht die Vorstellung, dass die oft als anstrengend oder sogar als asketisch, aber zumindest entbehrungsreich angesehene Arbeit der Praxis zeitlich vorausgehen müsse, um später die Erleuchtung zu erlangen. Das bedeutet jedoch, dass die Erfahrung der Erleuchtung und die Praxis voneinander getrennt wären. Die Praxis wäre sozusagen nur das untergeordnete Werkzeug, um das ersehnte Ziel der Erleuchtung zu erreichen.

Einer solchen Theorie schieben Dōgen und Nishijima Roshi entschlossen den Riegel vor. Eine derartige Trennung von Praxis und Erfahrung der Erleuchtung kann im wirklichen Handeln nicht stattfinden, sondern nur als gedachte Lehre und Theorie bestehen; als solche kann sie „im Kopf“ sogar plausibel erscheinen.

Nishijima Roshi bezeichnet die Einheit von Praxis und Erfahren in der ersten Erleuchtung auch als Verschmelzen. Dieses Verschmelzen im Augenblick sei bei Anfängern genau dasselbe wie bei erfahrenen praktizierenden oder erwachten Meistern. Wer die Zazen-Praxis richtig ausführt, kann unabhängig davon, wie lange er schon praktiziert, die Erleuchtung unmittelbar erfahren, auch der Einsteiger! Gute Lehrer und die großen Meister der Vergangenheit lehren eine solche Praxis voller Sorgfalt und sie dienen selbst als Beispiel und Vorbild.

Mittwoch, 4. Mai 2011

Strahlende Klarheit

Terminverschiebung !!!

Liebe Freundinnen und Freunde des Zen-Gesprächskreises Berlin,

der Termin für unser Treffen im Dojo Berlin-Kreuzberg in der nächsten Woche musste leider um einen Tag verschoben werden:

Neuer Termin: Samstag 14. Mai um 18.00 Uhr.

Zen-Dojo Reichenberger Straße 133
10999 Berlin


Thema: Strahlende Klarheit im ZEN bei Meister Dogen

Mit herzlichen Grüßen
Yudo


Montag, 2. Mai 2011

Zen-Gesprächskreis Berlin

Liebe Freundinnen und Freunde des Zen-Gesprächskreises Berlin,

wir treffen uns am Freitag der nächsten Woche im Dojo in Berlin-Kreuzberg, dazu möchte ich Euch herzlich einladen:

Termin: 13. Mai um 18.00 Uhr.
Zen-Dojo Reichenberger Straße 133
10999 Berlin

Unser Thema ist die

Strahlende Klarheit,

die wir in unserem Leben durch die Praxis und Lehre des Zen-Buddhismus verwirklichen können.
Peter Pütz wird wieder als Einstimmung für uns die Shakuhachi-Flöte spielen.

Mit herzlichen Grüßen
Yudo