Dienstag, 3. April 2012

Das Zeichen mit dem Auge – ein Symbol für die Dharma-Übertragung



Da die Aussage von Meister Baso, dass er ein Zeichen mit den Augen gibt, nicht leicht zu entschlüsseln sind, möchte ich die Interpretation anhand einer zweiten Textstelle vertiefen. In der buddhistischen Literatur habe ich dazu bisher nichts gefunden.

Diese Formulierung kommt im Shōbōgenzō auch im Kapitel über die äußerst seltene Udumbara-Blume vor, als Gautama Buddha seinem ersten Nachfolger Mahākāshyapa die Dharma-Übertragung gibt: „Der Weltgeehrte hob eine Udumbara-Blume hoch und machte ein Zeichen mit den Augen.“ Diese erste Weitergabe des Buddha-Dharma hat für den Buddhismus eine fundamentale Bedeutung, denn sie bezeichnet den Beginn der weltweiten Verbreitung von Buddhas Lehre. In Ostasien wird diese Begebenheit besonders geschätzt, weil sie den Beginn der authentischen Übertragung von einem Meister zum anderen darstellt, also von Gautama Buddha über Mahākāshyapa zu Bodhidharma.

Das wortlose Zeichen mit dem Auge nimmt eine ganz zentrale Stellung ein beim Erwachen und der Übertragung des Dharma auf einen authentischen Nachfolger. In diesem Kapitel über die Udumbara-Blume geht es um das Erwachen Buddhas:

„Ein Zeichen mit den Augen beschreibt den Moment, in dem der leuchtende Stern an die Stelle von Buddhas Augen ging, während er unter dem (Bodhi-)Baum saß.“

Dōgen berichtet weiter, dass man genau in dem Augenblick, in dem der Tathāgata ein Zeichen mit den Augen gab, seine (alten) Augen schon verloren hat. Dieses Zeichen sei genau das Drehen der Blume des Buddha-Dharma. Es kann zur Unterstützung für den anderen Menschen dienen oder sogar die Bestätigung des Erwachens sein.
Zurück zu Meister Baso: Wenn es genau in der Situation richtig und angemessen ist, macht er ein Zeichen mit den Augen, und wenn es in der jeweiligen Situation nicht richtig ist, unterlässt er es. Nishijima erläutert dazu, dass es immer auf den jeweiligen Zustand im Augenblick ankommt.

In der zitierten Geschichte heißt es, dass die Worte Basos bei seinem Schüler Yakusan Igen eine explosive spirituelle Kraft erzeugten, die bei ihm jäh das große Erwachen zur Wirklichkeit auslöste. Dies ist ein Augenblick höchster Bedeutung und die Sein-Zeit der wahren Existenz. Dōgen hebt die Wichtigkeit von Basos Antwort hervor:

„Was Baso sagt, ist nicht gleichzusetzen mit (dem), was andere (sagen können). (Seine) Augenbrauen und seine Augen mögen die Berge und Meere sein, weil die Berge und die Meere (seine) Augenbrauen und Augen sind. Indem er sich veranlasst (eine Augenbraue) zu heben, mag er auf die Berge schauen, und indem er sich veranlasst, ein Zeichen mit dem Auge zu geben, mag er den Meeren vorstehen.“

Hier werden symbolisch die Augenbrauen mit den Bergen und das Zeichen der Augen mit den Meeren gleichgesetzt. Diese kraftvolle poetische Formulierung symbolisiert die Überwindung von Subjekt und Objekt, überschreitet also den Dualismus der gewöhnlichen Wahrnehmung. Damit werden die Kraft und Klarsicht dieses Meisters deutlich gemacht und die große Einheit des erwachten Menschen mit dem Universum im Augenblick der Sein-Zeit wird angesprochen.
Die Bemerkungen Dōgens über Baso drücken gleichzeitig seine hohe Wertschätzung und Bewunderung der Berge und der Meere aus die man in seinen Texten häufiger findet und die auch für seinen eigenen Lehrer Tendō Nyojō bezeichnend sind.

Nishijima Roshi sagt zu dem Zitat von Dōgen:
„Das subjektive Symbol der Augenbrauen und der Augen mag eine Einheit mit dem objektiven Symbol der Berge und Meere sein, weil das objektive Symbol der Berge und Meere eine Einheit mit dem subjektiven Symbol der Augenbrauen und Augen sein mag. Wenn er daher sagt, dass er die Augenbrauen hochzieht, mag dies bedeuten, die (wahren) Berge zu sehen, und wenn er ein Zeichen mit den Augen gibt, mag dies bedeuten, das (wahre) Meer zu bewundern.“