Freitag, 24. Juni 2016

Buddha-Natur des Reinen Landes im harten Alltag



Nishijima Roshi erklärte mir einmal, dass der Buddhismus des Reinen Landes vor allem für die schwer arbeitenden Menschen sehr wichtig gewesen sei, denn sie hatten kaum Zeit und keine finanziellen Möglichkeiten, sich intensiver mit der buddhistischen Lehre und der speziellen Praxis zu beschäftigen.

Ein Großteil der japanischen Bevölkerung wurde viele Jahrhunderte hindurch ständig von Existenznot bedroht. Um ihr nacktes Überleben zu sichern, musste die ganze Familie von morgens bis abends hart arbeiten. Der Glaubens-Buddhismus des Reinen Landes war leichter mit dem Alltag zu verbinden und verlieh innere Ruhe und Sicherheit – gerade bei großen Entbehrungen und in Notsituationen. In den folgenden Jahrhunderten waren die Klöster bereits verhältnismäßig wohlhabend und verfügten oft über nicht unerheblichen Landbesitz, der zum Beispiel durch Schenkungen der reichen Oberschicht zustande gekommen war. In den Klöstern gab es daher wesentlich bessere Bedingungen als für die übrige Bevölkerung, sich intensiv mit der Lehre und Praxis des Buddhismus zu beschäftigen.

Ähnlich wie beim praxisnahen Ansatz des Reinen Landes hat sich die deutsche Nonne Ayya Khema intensiv mit der Buddha-Natur beschäftigt und diese in ihre praxisorientierte Lehre integriert. Sie war zwar eine Vertreterin des frühen Buddhismus, hielt jedoch die Lehre der Buddha-Natur für ganz zentral, um den Buddha-Weg gerade in der heutigen Zeit zu gehen.[i]

Von ihrer Schülerin Traudel Reiß wird sie mit der folgenden Aussage zitiert:

„Die Buddha-Natur bedeutet das Erleuchtungsprinzip, das Potential für Erleuchtung, das Potential der absoluten Wahrheitserkenntnis, das wir alle in uns tragen.“ [ii]

Für Traudel Reiß und Ayya Khema sind daher Buddha-Natur und das wahre Wesen, das Erleuchtung und Befreiung erreichen kann, weitgehend identisch. Obgleich Gautama Buddha in seinen Lehrreden die Buddha-Natur selten explizit erwähnt, ist seine radikal neue Befreiungslehre mit dem Thema der Buddha-Natur unlösbar verbunden. Denn er lehrte, dass jeder Mensch erwachen kann, also Erleuchtung erlangen kann – und genau das ist die Kernaussage zur Buddha-Natur.

Ayya Khema sieht eine direkte Verbindung zum deutschen Mystiker Meister Eckhart, der von dem „Fünkelein“ des Menschen spricht. Für sie besteht nicht der geringste Zweifel, dass alle Religionen die zentrale Kernaussage des Fünkeleins oder der Buddha-Natur beinhalten. Alle Menschen, welche die absolute Wahrheit gesucht und gefunden haben, hätten das Gleiche entdeckt:

„Wie wäre es anders möglich, wie kann es mehrere absolute Wirklichkeiten geben?“[iii]

Der Fehler liege darin, dass die verschiedenen Religionen zu oft in ideologisch übersteigerter Weise dazu neigen, sich voneinander abzugrenzen, und sich letztlich an Äußerlichkeiten und Ritualen festhalten, ohne den wesentlichen Kern des Gemeinsamen zu sehen. Nach Buddha und Nagarjuna handelt es sich dabei um Extreme, die keine Wirklichkeiten besitzen und daher zu Leiden, Hass oder Illusionen führen. Daher lehren beide den Mittleren Weg, der ganz neue Kräfte für ein wirklich gelungenes Leben entwickelt.





[i] ebd., S. 123 ff.
[ii] ebd., S. 123
[iii] ebd., S. 124 f.

Mittwoch, 15. Juni 2016

Die Buddha-Natur im Reinen Land



Der buddhistische Studienverlag hat in einem Themenschwerpunkt-Band das Thema „Buddha-Natur“ verschiedener buddhistischer Schulrichtungen zusammengeführt und dadurch einen ausgezeichneten Überblick ermöglicht. Diese buddhistischen Übertragungslinien sind im Westen, auch in Deutschland, angekommen und beeinflussen sich gegenseitig: „Dies hat zum Beispiel den Theravâda-Buddhismus dazu bewegt, sich mit dem Begriff ‚Buddha-Natur‘ auseinanderzusetzen, obwohl er mit seinem Sinngehalt in klassischen Lehrgebäuden des Theravâda allenfalls in Anfangsgründen präsent war.“[i]

Das heißt, im frühen Buddhismus gab es zwar gewisse Ansätze zur Buddha-Natur, aber erst im Mahâyâna, im tantrischen Buddhismus (siehe Diamant-Sûtra) und im Zen wurde diese buddhistische Lehre ausgebaut.

Ähnlich wie im Zen versteht die buddhistische Schule des Reinen Landes die Buddha-Natur vor allem durch Praxis, aber anders als im Zen auch durch Glauben, und betrachtet sie „weniger als theoretisches Lehrgebäude“[ii]. Der Buddhologe Roland Berthold zitiert in diesem Zusammenhang aus einem bekannten Sûtra:

Klares Licht ist dieser Geist, er ist durch hinzukommende Befleckungen befleckt“ und „wird von hinzukommenden Befleckungen losgelöst“.[iii]

Das klare Licht wird als die ursprüngliche wesentliche Essenz des Menschen und der Welt erfahren und verstanden und mit der Buddha-Natur weitgehend gleichgesetzt. Nach dieser Lehre können die Befleckungen der Buddha-Natur gereinigt werden; eine solche Befreiung ist mithilfe der Vier Edlen Wahrheiten und des Achtfachen Pfades möglich. Wenn die Befleckungen verschwunden sind, verwirklicht sich zudem die Leerheit.

Zusammenfassend nennt Berthold die folgenden drei wichtigen Merkmale der Buddha-Natur in der Lehre des Reinen Landes:

1. Sie sei die Essenz und die ursprüngliche Fähigkeit aller Wesen, Buddhaschaft zu erlangen.
2. Ontologisch betrachtet sei die Leerheit des Ich identisch mit der Buddha-Natur und der Erkenntnis der „eigentlichen Nichtzweiheit von Prinzip und Erscheinung“.
3. Die Verwirklichung der Buddha-Natur sei ein Heilungsprozess und die Überwindung des Leidens, also ein soteriologischer Vorgang: „Das Vertrauen in die Existenz der Buddha-Natur ist dabei die Grundlage, den Weg des Buddha zu gehen.“[iv]

Wesentlich für die buddhistische Linie des Reinen Landes sind der Glaube und das tiefe Vertrauen in die Identität des wahren Selbst mit Buddha, oder anders ausgedrückt: die Wesensgleichheit der Buddha-Natur mit dem Selbst. Diese Lehre kam von China nach Japan und erlangte seit dem 13. Jahrhundert erhebliche Bedeutung. Sie besagt, dass es uns durch den tiefen Glauben an Buddha und die eigene Buddha-Natur möglich sei, das Dharma-Tor zu durchschreiten und alle Ich-zentrierten Vorstellungen zu überwinden.

Dazu bedarf es einer klaren Entscheidung und festen Entschlossenheit, den Weg Buddhas zu gehen. Dann werde sich die Sichtweise des eigenen Selbst, der anderen Menschen und der ganzen Welt grundlegend verändern.





[i] Wachs, Marianne (Hrsg.): Buddha-Natur, Themenschwerpunkt. In: Form ist Leere – Leere Form, S. 7
[ii] ebd., S. 31 ff.
[iii] ebd., S. 39
[iv] ebd., S. 42

Sonntag, 5. Juni 2016

Buddhas Suche nach der Wahrheit

(Nishijima Roshi)

Gautama Buddha befand sich im Zwiespalt: Weder der Brahmanismus, die Religion, die zu seinen Lebzeiten vorherrschte[i], noch die philosophischen Lehren der Materialisten und Skeptiker führten ihn bei seiner Suche nach der Wahrheit weiter. In dieser Situation praktizierte er intensiv Zazen-Meditation. Nach einiger Zeit, früh am Morgen, sah er den klaren Morgenstern am Himmel und erkannte, dass die Welt hier und jetzt wunderbar ist: „Die Erde und alle Lebewesen sind wunderbar“, so steht es in den Sûtras.

Diese totale und vorbehaltlose Annahme aller Dinge, so wie sie sind, gaben Gautama Buddha die sichere Grundlage, auf der er sein Denken aufbaute und formte. Wenn wir die vielen buddhistischen Sûtras studieren, die über Buddhas Verwirklichung geschrieben wurden, kommen wir zu dem Schluss, dass er diesen Zustand erreichte, weil er sich auf das Handeln im gegenwärtigen Augenblick, auch als Meditation, bezog.

Ganz gleich, welche Fehler wir in der Vergangenheit begangen haben, wir können nicht zu dem vergangenen Augenblick zurückkehren, um dann die Dinge richtig zu machen, auch wenn wir den Fehler bedauern. Gleichzeitig können wir niemals verlässlich in die Zukunft sehen, ob wir zum Beispiel unseren Traum einmal verwirklichen werden.

Aber wenn wir erkennen, dass das Leben auf das Handeln zentriert ist, sehen wir, dass wir nur wirklich in der Gegenwart existieren können. Wir können niemals in die Vergangenheit zurückkehren, und wir können niemals bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt in die Zukunft gehen.

Dies ist die Essenz dessen, was Gautama Buddha lehrt – die wirkliche Existenz im gegenwärtigen Augenblick. Und das ist die zentrale Aussage Dôgens zur Verwirklichung der Buddha-Natur. Gautama Buddha erkannte klar, dass es der einzig realistische Weg zu leben ist, wenn wir genau im gegenwärtigen Augenblick das Beste tun, das wir können.

Solange wir auf diese Weise leben, gibt es nichts, was wir fürchten müssen und was uns Sorgen bereiten könnte. Das Universum bewegt sich vorwärts unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Alles was wir in unserem Leben tun können, besteht darin, ganz in der Gegenwart zu handeln und zu leben. Dies ist Gautama Buddhas Lehre.

Wenn wir diese Sichtweise haben, ist nichts in unserem Leben unmöglich. Obgleich die Probleme kommen und gehen, werden sich die Dinge mit aufrichtigem Handeln und der Entfaltung von Ursache und Wirkung verbessern. Aber wir müssen uns auch in glücklichen Zeiten anstrengen, diesen guten Zustand aufrechtzuerhalten, denn alles ist im Wandel. Die Veränderungen müssen wir als Chance begreifen, anstatt zu resignieren. Wenn die Menschen auf das Handeln fokussiert sind, können sie alle ihre Probleme lösen.

Wir sind sehr glücklich, dass Gautama Buddhas Lehren durch die Jahrhunderte zu uns gekommen sind, und wir können seine große Güte fühlen.

Ich ermutige die Menschen, Buddhas Lehren zu studieren und ihnen mit ihrer ganzen Energie zu folgen, um seine Lehre des Handelns zu verwirklichen!




[i] Seele, Katrin: „Das bist Du!“Das Selbst“ (âtman) und das „Andere“ in der Philosophie der frühen Upanisaden und bei Buddha