Samstag, 11. März 2017

Haiku-Gedicht auf dem ZEN-Retreat

(Stephan Shinshi Albrecht)


Ich freue mich in diesem Blog die Gelegenheit zu haben über meine zufälligen Eingebungen auf einem Zen-Retreat im Jahr 2016 in Südtirol zu schreiben. Es soll um Haikus gehen. Ein Haiku ist eine japanische Gedichtform. Diese Gedichtform hat eine wichtige Eigenheit, die ich hervorheben möchte:

Im Gegensatz zu unseren europäischen Gedichten, speziell denen aus der Romantik, steht beim Haiku nicht der Autor im Vordergrund. Sie kennen das, in einem romantischen Gedicht geht es um Liebe, Sehnsucht oder Leidenschaft. Und es spricht der Schriftsteller zu uns, durch Personen und Handlung. Mit seiner vollen Subjektivität und Emotionalität. Anders das Haiku. Das Haiku entsteht durch eine klare Beobachtung. Und nur darum geht es. Eine klare Beobachtung der Umgebung. Meine Eindrücke finden Sie am Ende dieses Artikels. Zuvor möchte ich Sie noch über die Entstehung der Haikus informieren, da dies möglicherweise nicht jedem Leser bekannt ist.

Die Entstehung des Haikus und geht in das zwölfte Jahrhundert Japans zurück. Es stammt vom „Ranga“ ab. Ein Ranga ist ein verbundenes Lied oder Gedicht. Einzelne Dichter oder Gruppen von ihnen improvisierten über die Renga-Vers-Struktur. So entstanden Werke mit über 10000 Versen. Ein Ranga  war ein zusammenhängendes Gedicht mit 17 Silben in Folge oder als Nachfolger von einem Vers mit 14 Silben. Vier Jahrhunderte später erlebten die traditionellen japanischen Künste auch bei den gewöhnlichen Leuten einen starken Auftrieb.

So entstanden „Haikais“. Sie waren ungewöhnlich und unkonventionell. Möglicherweise eine Gegenbewegung zu der Hof-Poesie dieser Zeit, die sogenannte „Sprache der Götter“. Haikais waren in der Alltagssprache verfasst, hatten Humor und das Element der Überraschung. Im siebzehnten Jahrhundert wurden die Haikais feinfühliger und würdevoller. Sie wurden als „Hokku“ zur eigenständigen Versfrom. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde aus dem Wort „Hokku“ das Wort „Haiku“. Haiku bedeutet „ungewöhnlicher Vers“. So hat unser Haiku eine neunhundertjährige Reise vom „Ranga“ bis zum modernen Haiku hinter sich gebracht.

Das Haiku konnte sich glücklicherweise auch außerhalb Japans ausbreiten. In Deutschland und im englischen Sprachraum hat sich eine Versform mit 17 Silben entwickelt und das Schreiben von Haikus hat viele Anhänger gefunden. Es hat sich eine dreizeilige Versform mit dem Silbenschema 5-7-5 etabliert. In Japan gibt es allerdings die meisten aktiven Haiku-Verfasser: dort gibt es wohl eine Million von ihnen. Haikus werden dort z.B. täglich in Tageszeitungen veröffentlicht. Somit ist das Haiku zwar immer noch in Japan beheimatet, aber auch in unseren Breiten gibt es viele Anhänger.

Wie ist das Haiku nun in mein Leben getreten, oder wieso schreibe ich spontan zwei Haikus auf einem Zen-Retreat? Haikus sind mir aus meinen frühen Begegnungen mit dem Zen-Buddhismus bekannt. Ich habe zumindest von Ihnen gelesen, als ich mich mit 16 Jahren mit Zen beschäftigt habe. Ein paar Jahre später habe ich mich nur sehr kurz mit dem Schreiben von Haikus beschäftigt und möglicherweise bis zu zehn Haikus selbst geschrieben. Nur für meine eigene Unterhaltung.



Im August 2016, zwanzig Jahre später, sitze ich in einem Zen-Retreat mit Yudo in einem Bergkloster in Südtirol und beginne spontan innerhalb einer Woche zwei Haikus zu schreiben. Warum sich das Haiku-Schreiben so spontan und gänzlich unbewusst wieder bei mir gezeigt hat, kann ich nicht sicher beantworten. Sicherlich hat es sich durch die Umgebung und die Materie eines Zen-Retreats so angebahnt.

Nun zu den Haikus selbst: Viele Haikus die ich früher gelesen habe beschäftigen sich mit der Natur und dem unmittelbaren Erleben. Heute scheint es mir, als ob dies ein Fenster zur buddhistischen Sein-Werden-Zeit ist (vgl. Meister Dôgen: Uji). So wie ein Schluck herben Matcha-Tees oder ein guter Bogenschuss die Unendlichkeit erfahrbar macht. 

So scheint es mir nicht verwunderlich, dass auch meine kleinen Haikus diese Inhalte etwas reflektieren. Wenn ich jetzt einen Blick auf die Haikus werfe, dann aktivieren sich die beschriebenen Erlebnisse auf einer sensorischen Ebene sehr stark, ebenso entsteht wieder ein Gefühl von Einheit oder Unendlichkeit. Ich bin gespannt darauf, wie es Ihnen geht. In der Folge die beiden versprochenen Haikus.

Dampfendes Dach
Die Wolke fällt vom Himmel
kalt, feucht - einatmen

Weiße Marmorwand
Klänge erfüllen die Luft
Buddha spiegelt sich

Stephan Shinshi Albrecht