Montag, 10. April 2017

Einfach so: Erleuchtung und Absichtslosigkeit im ZEN



 In buddhistischen Gruppen hört man  richtiger Weise für die eigene Lebensgestaltung den Ausdruck „einfach so“. Das gilt gerade im Zen für ein Leben im Gleichgewicht von Körper-und-Geist oder nach Dôgen für die höchste dem Menschen mögliche Weisheit. Dann ist unser Leben wirklich einfach! Er wird aber von manchen etwas leichtfertig dafür benutzt, dass man keine Ziele, Pläne und Absichten haben solle und sich nicht für die Gemeinschaft engagieren müsse. Kann man schon dadurch Erleuchtung erlangen? Dies ist nach meiner Kenntnis und Erfahrung leider ein Missverständnis, denn die im Buddhismus oft zitierte Absichtslosigkeit bedeutet vor allem, keine egoistischen, rücksichtslosen und völlig unrealistischen Absichten zu verfolgen, also ethisch zu denken und zu handeln und sich nicht von Dogmatik, eingefahrenen Grenzen und Schein-Zielen dominieren zu lassen. Das könnte unversehens zu der von Buddha genannten Hemmnis "Erstarren und Trägsein" führen, wäre also gerade kein wahrer ZEN.

Was sagt nun Buddha selbst dazu? Dazu ein kurzer Rückblick zur wahren Erfahrung seiner Erleuchtung: Am Anfang seines großen Übungsweges meditierte er unter zwei weit bekannten Lehrern der damaligen vedischen Tradition. Nachdem er das von ihnen Lernbare erlernt hatte, war er letztlich enttäuscht: Erleuchtung hatte er nicht erlangt. Warum?

Er erläuterte später, dass die Yogis falsche Ziele und eine falsche unerreichbare Absicht hatten: Sie wollten die Allwissenheit Brahmans erlangen. Aber das kann kein Mensch und wegen der falschen Absicht blockierten, begrenzten sie sich selbst und untergruben die Wirksamkeit ihre eigenen Meditation. Sie konnten daher spirituell nicht auf Neuland vorstoßen, sondern hingen fest an der überkommenden Religion. Erst als Buddha dieses Ziel als unerreichbar erkannte und aufgab, konnte er richtig meditieren und erlangte so die Erleuchtung: Ganz im Hier und Jetzt: Meditieren als Meditieren und sonst nichts. Das war etwas völlig Neues in der menschlichen Kultur und brachte ihm innere und äußere Ruhe, Klarheit, Glück und Heiterkeit. Eben Erleuchtung!

Meister Dôgen arbeitet in mehreren Kapiteln heraus, dass es darauf ankommt, sich von der Fixierung auf Ziele zu lösen und sich ganz dem Handeln und Tun im Augenblick zu öffnen.[i] Das heißt im Klartext, dass Absicht und Handeln im Augenblick eine unlösbare Ganzheit sein sollen. Absicht und Ziel dürfen wie beim Zazen nicht getrennt werden, das um so mehr, wenn es unrealistische und unerreichbare Ziele sind. Ich erinnere mich, dass Nishijima Roshi diese fundamentale Wahrheit häufig betonte.

Wenn die verbissene Ausrichtung auf Ziele und Ergebnisse unseren Geist dominiert, werden wir von der Gegenwart in eine ferne Zukunft weggezogen und verlieren den Kontakt zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt. Dann lebt ein Mensch nicht mehr in der Realität, sondern im Denken, in der Hoffnung und in Angst; meist wird er darüber hinaus von Affekten oder Illusionen gebeutelt, sodass sogar seine Vernunft leidet.

Dôgen grenzt in diesem Zusammenhang sein Verständnis der Leerheit von verschiedenen anderen nicht immer klaren Begriffen ab und interpretiert seine Worte „ohne sein“ im Zen folgendermaßen: Die Leerheit ist ohne alles das, was nicht die Wirklichkeit ist, also künstlich hinzugesetzt wurde. Das gilt vor allem für die Abhängigkeit von Ideologien und extremen Doktrinen. Ich verstehe das so, dass er uns durch seine ungewöhnliche Formulierung dazu auffordert, den Begriff und die Bedeutung der Leerheit selbst ganz genau zu untersuchen und mit der Praxis, nicht zuletzt des Zazen, zu verbinden: 

Was wäre in unserem Leben OHNE besser? Und gerade dadurch gelangen wir auf Neuland.

Im Europa des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde der indische Begriff der Leerheit meist falsch verstanden und hat zu falschen Schlussfolgerungen geführt. Manche Schwärmer und Idealisten, die mit der westlichen Kultur unzufrieden waren, haben darunter die Auflösung der Wirklichkeit und das Verlöschen der unerfreulichen Realität verstanden. Im Zen gibt es solche Tendenzen des Rückzugs nicht, es sei denn für eine bestimmte Zeit der Praxis, Befreiung und der Weiter-Entwicklung.

Mein Eindruck ist, dass zum Beispiel auch der Philosoph Schopenhauer diesem Irrtum zumindest teilweise unterlag. Allerdings gab es damals noch keine wirklich verlässliche Übersetzungen der buddhistischen Sûtras und schon gar keine belastbaren Dokumente aus dem Zen-Buddhismus. Das Shôbôgenzô von Meister Dôgen war praktisch unbekannt und selbst in Japan kaum erschlossen. Es war nur einem kleinen Zirkel von Mönchen zugänglich. Außerdem wurde damals in Europa häufig zwischen Buddhismus und Hinduismus nicht klar genug unterschieden.

Der Buddhismus gehört im Sinne von Nishijima Roshi zu den realistischen Religionen, während er den Hinduismus als idealistisch bezeichnet, da dieser geistige, spirituelle und metaphysische Bereiche unabhängig vom Körperlichen und Formgebundenen für wahr hält. Im Zen gibt es demgegenüber immer die Ganzheit von Körper-und-Geist.

Der depressive Kulturpessimismus des Westens wollte sich damals offensichtlich aus der oft harten Realität verabschieden und in einen fast suizidalen Nihilismus flüchten. Das ist aber kein wahrer Buddhismus, denn dieser ist gerade durch eine optimistische Weltsicht des Konkreten und Ganzen gekennzeichnet. 

   Und mit Weltflucht hat Zen schon gar nichts zu tun: Das Gegenteil ist richtig.






[i] vgl. Seggelke, Yudo J.: Strahlende Zeit zum Handeln. Im Auge des Zen, Bd. 2