Mittwoch, 28. Februar 2018

Gemeinschaft und ZEN


Lebendige Weisheit und Gemeinschaft des Zen kontra Einsamkeit


"Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet, uns selbst zu erlernen", sagt Meister Dogen. Dann können wir den andauernden Stress der Moderne durchschauen, abschütteln und wirklich zur Ruhe kommen.

Chronischer Stress und Depressionen sind vermutlich die häufigsten Krankheiten der heutigen Industriegesellschaft. Kurzfristiger Stress kann zwar bei großer Gefahr das Leben retten, aber Dauerstress ist viel gefährlicher als die meisten meinen und wissen:

Dauerstress und Angst erzeugen Konzentrationsstörungen, Entschlusslosigkeit, Grübeln, Wiederkäuen von negativen Gedanken, Pessimismus, sich sündig fühlen, Selbstvorwürfe und Todesgedanken. Stress speziell bei Buddhisten: Angst vor einer miserablen Wiedergeburt und die schwere Last eines ergrübelten schlechten Karmas: Vielleicht sogar im Zusammenhang mit Macht-Missbrauch. Aber das ist nicht der wahre Buddhismus!

Stress entsteht vor allem, wenn wir die Kontrolle über wichtige Lebensbereiche verlieren und Dauerstress ist selbst erzeugt. Er ist nicht maßgeblich durch äußere angebliche Fakten der Umgebung bestimmt. Daher können wir selbst den Stress und seine Folge zur Ruhe kommen lassen und steuern.

Und wie? Durch Meditation, Relaxen und sinnvolles aktives soziales Handeln, durch Bodhisattva-Handeln: "Erleuchtung im Alltag ist Zazen-Meditation, Feuerholz tragen und Wasser schöpfen". Zur Ruhe-Kommen durch die Zen-Künste Bogenschießen, Meditations-Flöte, Tee-Zeremonie, Blume-Stecken usw. Genau so Yoga, Tai chi, asiatische Praxis. Ganz besonders: Gemeinsame Erlebnisse in der  Natur, beim Sport und in der Musik.

Also sollten wir unser Leben umstellen, unseren Körper-und-Geist umwandeln und die Kraft der Mitte entwickeln. Nicht hektisch, übereilt und idealistisch-überzogen, sondern Schritt für Schritt: mit Achtsamkeit und klarer werdender Selbstbeobachtung. Das ist dann die neue Freiheit und der natürliche Flow.

Meister Dogen sagt in dem berühmten Kapitel "Das verwirklichte Leben und Universum (Genjō-kōan)"[1]:

„Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet, uns selbst zu erlernen. Uns selbst zu erlernen bedeutet, uns zu vergessen. Uns zu vergessen bedeutet, von den vielen, vielen Dharmas (der Wirklichkeit  und anderer Menschen ) erfahren zu werden. Von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden bedeutet, unseren eigenen (eingezwängten) Körper und Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen.“

Wir sollten uns auf dem Buddha-Weg von vorgefassten und eingefahrenen Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen, Doktrinen und vor allem von Stress und Angst befreien, um offen für neue Entwicklungen und Wahrheiten zu werden. Dabei ist es befreiend, sich für die lebendigen Vielfalt der Welt zu öffnen und sie wirklich zu erfahren: Nicht nur oberflächlich, gerade kein multitasking und übertriebener Aktionismus in "sozialen" Netzen. Das ist zu wenig! Wir brauchen verlässliche gute Freunde. Besser ist es, wenn der Geist genau beobachtet und handelt, im Hier und Jetzt. Und in der Gemeinschaft zur Ruhe kommt.

Es ist von fundamentaler Bedeutung, sich von der Fixierung auf den subjektiven Körper und den intellektuell-denkenden Geist, also dem kleinen verkrampften Ich, zu befreien und, wie Dōgen sagt, „Körper und (intellektualisierten) Geist fallen zu lassen“. Wir können uns selbst wirklich erkennen, wenn wir unser altes verengtes und gestresstes Ich vergessen: „Zen-Geist ist Anfänger-Geist“, nannte das Meister Shunryu Suzuki. Wir sollten dabei die Extreme der scheinbar objektiven Welt des Äußeren und des Körpers sowie den subjektiven eigenen ruhelosen Geist „fallen lassen“.

Was sagt nun die Gehirnforschung dazu: Dauerstress erzeugt letztlich Zellsterben im Gehirn (Hipocampus), ein Areal das für Klugheit, Planen, Kombinieren, Kreativität, Lernen, Raum-Intelligenz und für die Bewältigung des Alltags zuständig ist und mit unserem gesamten Körper-und-Geist wechselwirkt. Dieses Areal wirkt wie ein Kurzzeitspeicher für das Gehirn und hat eine sehr wichtige Funktion, weil die Informationen von dort in den Langzeitspeicher übernommen wird. Ein Beispiel: Bei Soldaten, die drei Jahre im Stress der Kriegsfront waren und ihn nicht steuern konnten, ist die Hälfte dieses Areals, abgestorben: Sie konnten ihren Alltag danach nicht mehr bewältigen.[2] Aber leben wir wirklich in der realen Kriegsfronten? Sicher nicht. Wir müssen unsere virtuelle Kriegsfronten fallen lassen, die wir uns selbst durch unbegründete Angst, Gier, Hass, falschen Wettbewerb usw. erzeugen.

Also: Die Gedanken des Scheiterns abstellen, sich selbst steuern (Selbstwirksamkeit) und nicht passiv abhängig sein, auch nicht von dem Stress und der Negativität anderer.
Mehr Steuerung und Kontrolle: Das Leben selbst in die Hand nehmen. Dann wachsen sogar die Nervenzellen dort nach, wo sie kaputt gehen.
Dann vermeiden wir den neuronaler Zelltod, eine gehemmte Verdauung, Magengeschwüre, Impotenz, Libidoverlust usw. Durch Stress wird das Immunsystem insgesamt bedeutend gehemmt und das Krankeitsrisiko dauerhaft erhöht
Stress ist das, was wir dafür halten, aber nicht die objektive Realität. Wir können uns daher selbst ändern, relaxen und den Stress zur Ruhe kommen lassen. Dauerstress ist kein Schicksal, das wir passiv erleiden müssen, sondern wir ihn aktiv runterfahren

Man kann in die Natur nach La Gomera fahren. Und Buddha rät, in Ruhe unter einem schützenden Baum und in der Natur zu meditieren. Er sagt im Sutra der Achtsamkeit bei den sieben Gliedern des Erwachens und beim Achtfachen Pfad?[3]:

"Unabhängig lebt er und er haftet an nichts in der Welt"



[1] Dogen: Shobogenzo deutsche Fassung Bd.1, S. 58
[2] Manfred Spitzer: Gehirnforschung
[3]Peter Gäng: Meditationstexte des Pali-Buddhismus Bd. I, S.51