Freitag, 16. November 2007

Buddhas Wahrheit und die Ablehnung der abgespaltenen buddhistischen Schulen

Meister Dôgen war tief davon überzeugt, dass es nur eine einzige Wahrheit im Buddhismus gibt, die von dem Genie Gautama Buddha etwa 500 vor Christus gelehrt wurde. In diesem Kapitel "Buddhas Wahrheit" (Kap. 49, Butsudô) arbeitet er in ganz eindeutiger Weise heraus, dass es sinnlos und gefährlich ist, den Buddha-Dharma in einzelne Schulen aufzuspalten, diese zu benennen, sodass sich die jeweiligen Anhänger hinter dem Namen verschanzen, gegeneinander argumentieren und sich sogar bekämpfen. An anderer Stelle macht er deutlich, dass auch die Unterscheidung in Hinayana und Mahayana sinnlos sei, weil es sich immer nur um eine einzige große und umfassende buddhistische Lehre handelt. Er sagt im Shôbôgenzô auch, dass es nicht vertretbar ist, sich nur auf die wörtlich übermittelten alten Sûtra von Gautama Buddha zu berufen und alles andere als nicht authentisch abzulehnen.

Dôgen nennt die großen Meister in China wie Bodhidharma, Daikan Enô, Seppô, Gensa und nicht zuletzt seinen eigenen Lehrer Tendo Nyojô häufig die "ewigen Buddhas", sodass auch deren wörtliche Überlieferungen der authentische Buddha-Dharma sind. Die Übungspraxis des Zazen führt er direkt auf Gautama Buddha zurück und wir wissen heute, dass es sich dabei um Yoga-Haltungen handelt, die mit großer Wahrscheinlichkeit in der alten Indus-Kultur vor dem Eintreffen der Indo-Europäer in Indien entwickelt wurden und sich zur Zeit Buddhas bereits voll in die Kultur eingebracht und integriert hatten. Die Yoga-Haltungen wurden von den damaligen Lehrern und Heiligen den Suchenden sicher vielfach beigebracht. Gautama Buddha spricht in seinen Lehrreden auch immer davon, dass seine Schüler sich mit gekreuzten Beinen, also dem Lotussitz, an einem ruhigen und geschützten Ort, z. B. unter großen Bäumen, niederlassen sollten, um zu praktizieren. Es ist zweifellos richtig anzunehmen, dass im achtfachen Pfad zur Überwindung des Leidens die Zazenpraxis in Form des Samadhi an achter Stelle enthalten war.

Den Buddha-Dharma bezeichnet Dôgen als Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, wobei der Begriff "Auge" unter anderem die Bedeutung hat, dass es der Kern, das Wesentliche oder die Essenz des Buddhismus ist. Dôgen betont immer wieder, dass der wahre Buddhismus von einem lebenden Meister auf den anderen übertragen worden ist, sodass es zum Beispiel von Gautama Buddha aus 33 Vorfahren im Dharma bis zu Daikan Enô gibt, und dieser als 33. Buddha bezeichnet wird. Er sagt wörtlich:

"Von Shakyamuni Buddha ausgehend bis zu Sokei (Daikan Enô) erhielten 34 Vorfahren im Dharma diese Übertragung. Jede einzelne dieser Übertragungen ist dasselbe wie die Begegnung zwischen Kashyapa und sie ist die vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Thathagata und Kashyapa. Deshalb wurde die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges immer unter vier Augen von einem rechtmäßigen Nachfolger zum nächsten weiter gegeben. Das wahre Leben des Buddha-Dharma ist nichts anderes als diese authentische Weitergabe. "

Nach dieser Feststellung ist es in der Tat widersinnig, irgendwelche buddhistischen Schulen nach früheren Meistern zu bezeichnen, die selbst überhaupt nicht daran gedacht haben, dass sich eine Schule des Buddhismus abtrennt und nach ihnen benannt wird. Dôgen rät sogar, den Begriff „Zen“ mit Vorsicht zu verwenden, damit nicht der Eindruck entsteht, es gäbe eine getrennte Zen-Schule, die sich vom authentischen Buddha-Dharma unterscheidet und eigenständig in China entwickelt worden sei. Er sagt in seiner drastischen Art:

"Menschen, die sich selbst zu einer der sogenannten Zen-Schulen zählen, sind Dämonen, die Buddhas Wahrheit herabsetzen". Er fügt hinzu, dass sie "ungebetene Feinde der Buddhas und Vorfahren" sind.

Dôgen fährt fort:
"Wer hat eigentlich die Bezeichnung Zen-Schule erfunden? Keiner der Buddhas und Vorfahren im Dharma hat diesen Namen jemals verwendet. Denkt daran, dass der Name Zen-Schule von Dämonen und Teufeln erfunden wurde. "

Er wirbt eindringlich dafür, dass man für die buddhistische Lehre den Begriff "Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" verwendet und nichts anderes und vor allem nicht einzelne buddhistische Schulen benennt, wie dies leider auch heute häufig geschieht. Nach der ostasiatischen Formulierung wurde die authentische Weitergabe von Gautama Buddha auf den ersten Nachfolger Mahakashyapa dadurch verwirklicht, dass er eine Udumbara-Blume hochhielt und in seinen Händen drehte. Mahakashyapa erkannte als einziger diese symbolische Handlung und lächelte. Diese erste Übertragung vollzog sich also ohne Worte durch Handeln vom Lehrer auf den Schüler und Gautama Buddha sagte nach dem Lotus-Sûtra dann:

"Ich besitze die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges und gebe sie an den Mahakashyapa weiter."

Die Übertragung ereigenete sich also im Hier und Jetzt, von Angesicht zu Angesicht und durch ein Zeichen von Gautam Buddha und wurde "mit dem Körper, mit dem Geist, mit den Knochen und dem Mark empfangen und wurde mit dem Körper, mit dem Geist, mit den Knochen und dem Mark weiter gegeben."

Es ist in der Tat einleuchtend, dass abgrenzende Bezeichnungen für verschiedene buddhistische Schulen schnell eine negative Eigendynamik entwickeln und Abgrenzungen zu anderen Schulen erzeugen. Es bilden sich dann kommunikative soziale Gruppen, die sich nicht zuletzt durch die Bezeichnung gegen über anderen Gruppen identifizieren und sich meist dadurch auch über die anderen erheben wollen. Sie behaupten dann schnell, dass sie selbst den wahren Buddhismus besäßen und versuchen zu beweisen, dass die anderen buddhistischen Schulen diese nicht haben, nicht verstehen und auf dem Holzwege seien. Es werden dann künstlich und z. T. absichtsvoll verbale Unterscheidungen heraus entwickelt, definiert und präzisiert, die oft mit der Wirklichkeit im Handeln und Denken wenig zu tun haben.

Um der jeweils eigenen buddhistischen Schule die große Bedeutung und den überlegenen Glanz der Wahrheit anzuheften, wird dann der Name eines großen Meisters aus der Geschichte des Buddhismus bemüht, um Zweifel in der eigenen Schule zu zerstreuen und die argumentative Schlagkraft gegenüber anderen Schulen zu erhöhen. Es muss hier angemerkt werden, dass derartige Entwicklungen sicher bei allen Religionen zu beobachten sind und dass dadurch schon sehr viel Unrecht, Unheil und auch Mord und Totschlag geschehen sind und begründet wurden. Wir möchten nur an manche sinnlosen Taten von Katholiken, Protestanten, griechisch-orthodoxen Christen und von Sunniten und Schiiten erinnern. Auch die Auseinandersetzungen von Juden, Christen und Moslems sind eigentlich überhaupt nicht zu begründen, weil sie sich alle auf den einen Gott und auf Moses beziehen.

Dôgen legt großen Wert auf die Folge der buddhistischen Meister in den verschiedenen Übertragungslinien, aber lehnt die Unterscheidung in die verschiedenen buddhistischen Schulen mit Nachdruck ab. Er beschreibt dabei die angeblichen vier Schulen Rinzai, Unmon, Hôgen und Sôtô und bezieht sich dabei auf seinen eigenen Meister, der die Unterschiede in den Bräuchen dieser sogenannten Schulen grundweg ablehnte. Die Namen solcher Schulen gab es in der großen Song-Zeit des Buddhismus überhaupt noch nicht, sie wurden erst später geprägt und haben zu erheblicher Verwirrung beigetragen. Auch Dôgen selbst fühlte sich keiner speziellen buddhistischen Schule, auch nicht dem Sôtô, zugehörig und hat nicht zuletzt deswegen sein Hauptwerk Shôbôgenzô als Schatzkammer des wahren Dharma-Auges bezeichnet. Er hat außerdem eine Sammlung von 301 der damals bekanntesten Koan-Geschichten zusammengestellt, die er immer wieder im Shôbôgenzô tiefgründig und oft geistig recht anspruchsvoll erläutert und an die Nachwelt weiter gibt. Diese Sammlung von 301 Koans ist in dem Werk „Shinji Shôbôgenzô“ von Nishijima Roshi im Einzelnen und recht gut verständlich kommentiert worden, und ich habe sie auch immer wieder zu den einzelnen Kapiteln herangezogen, soweit auf sie verwiesen wurde.
Meister Rinzai Gigen lebte etwa von 815 bis 867. Es gibt verschiedene Geschichten, dass es sich in der Tat um einen sehr eigenwilligen Schüler und Meister handelte und es wird berichtet, dass er von seinem eigenen Meister insgesamt sechzig Stockschläge erhielt, weil er oft in abstrakte Theorien verstrickt war, aus denen er durch Worte und Zureden nicht herausfand. Es wird berichtet, dass er auf dem Sterbelager seinem Nachfolger ans Herz legte, den wahren Buddhismus nicht zu zerstören, wenn er selbst gestorben sei und es ist völlig ausgeschlossen, dass er selbst die Rinzai-Schule des Zen-Buddhismus begründen wollte. Dôgen unterstreicht in aller Klarheit, dass wir daher auch den Begriff der „Rinzai-Schule“ nicht verwenden sollten.

Der große Meister Unmon lebte von 864 bis 949 und war ein Nachfolger des berühmten Meisters Seppô. Dôgen hält es für ausgeschlossen, dass Meister Unmon die Absicht hatte, eine eigene Schule mit seinem Namen zu gründen und sagt:
"In diesem Fall könnte man kaum sagen, dass er den Körper und Geist des Buddha-Dharma gehabt hätte. "

Meister Hôgen war ein Dharma-Enkel von Meister Gensa und lebte von 885 bis 958 und wollte ebenfalls überhaupt keine eigene Schule mit der Bezeichnung „Hôgen-Schule“ gründen. Dôgen macht deutlich, dass die Anhänger dieser beiden sogenannten Schulen Unmon und Hôgen die Nachkommen der großen Meister sind und nicht gegeneinander abgegrenzt werden können.

Die Sôtô-Linie führt Dôgen auf den großen Meister Tôzan (807 bis 869) zurück und zählt die einzelnen überragenden Meister dieser Linie bis zu Tendo Nyojô und sich selbst auf. Der Begriff „Sôtô-Schule“ wird von den Namen der großen Meister Sôzan und Tôzan abgeleitet. Er sagt wörtlich:

"Was den Namen „Sôtô“ betrifft, solltet ihr endlich klar erkennen, dass irgendein stinkender Hautsack, der einer Seitenlinie angehörte, sich selbst auf eine Stufe mit (Tôzan) stellen wollte und sich diesen Namen ausgedacht hat. Selbst wenn es wahr ist, dass die helle Sonne weithin strahlt, scheint es, als ob tiefer ziehende Wolken sie verdunkelten."

Am Ende des Kapitels kritisiert er einen Zeitgenossen mit dem Namen Chiso, der einzelne Aussagen der alten Meister aus dem Zusammenhang gerissen und sie stolz in einer besonderen Dokumentation zusammengestellt hat. Dôgen hält ein solches Vorgehen für sinnlos und gefährlich, da dadurch die Inhalte verzerrt oder unkenntlich gemacht werden und den buddhistischen Schülern damit "Steine statt Brot" gegeben wird. Auch heute gibt es zotige und flotte, angeblich authentische Aussprüche großer Meister, und ich bin sicher, dass Dôgen auch diese abgelehnt hätte. Dôgen sagt wörtlich, dass der Urheber dieses Buches nicht „Chiso“ heißen sollte, denn dies heißt „weise und klar“, sondern man sollte ihn „Gumo“ nennen, denn dies heißt „dumm und blind“.

Schließlich weist Dôgen darauf hin, dass die Bezeichnung der sogenannten buddhistischen Schulen dazu verführen kann, dass deren Anhänger meinen, dass es sich um ihren eigenen privaten Besitz handelt, so wie ein unweiser König glaubt, dass ihm das ganze Land selbst und persönlich gehört. Das Land gehört aber nicht dem König, sondern den Menschen, die darin leben, und Dôgen vermutete, dass die jeweiligen Führer nur ihre eigenen Interessen, nämlich ihre Macht und ihren Ruhm, im Auge hatten und nicht den wahren Buddha-Dharma vertreten und lehren wollen. Dôgen sagt zum Abschluss dieses Kapitels:

"Ihr solltet die Namen von Schulen weder sehen noch hören, wenn ihr das Handeln auf dem Wege eines (wahren) Schülers von Buddha wirklich authentisch empfangen und weiter geben wollt.“