Sonntag, 20. Juli 2008

Die großen Dhâranî der Niederwerfungen und des Gewandes des Kesa

In diesem Kapitel (Kap. 55, Dhâranî) erläutert Dôgen die große Wichtigkeit und Bedeutung der Niederwerfungen als buddhistisches Handeln und des Kesa als buddhistisches Gewand. Der Begriff Dhâranî ist im westlichen Buddhismus weniger bekannt.

Er kommt aus dem Sanskrit und heißt wörtlich übersetzt die "Trägerin", hat also eine recht allgemeine Bedeutung. Der Begriff „Trägerin“ kann als Stütze oder Unterstützung verstanden werden, um den Weg des Buddha-Dharma zu gehen. Dazu gibt es zum Beispiel bestimmte spirituelle Worte und Silben wie die Mantras und andere buddhistische Formeln. Sie sind auch heute im japanischen, koreanischen und tibetischen Buddhismus üblich. Dôgen betont in diesem Kapitel die großen Dhâranî der Niederwerfungen und des Kesa und erläutert an diesen Beispielen seine eigene große Wertschätzung für sie. Zu diesen gehört auch der letzte Abschnitt des berühmten Herz-Sûtra, auf japanisch:
„gyatei, gyatei, haragyatei“
Die Niederwerfungen werden in mehreren Kapiteln des Shôbôgenzô behandelt, und es gibt spezielle Beschreibungen für dieses buddhistische Handeln der Wertschätzung und Ehrerbietung. Das Kesa wird von Dôgen als buddhistische Wirklichkeit selbst verstanden, das über das Material und die symbolische Bedeutung weit hinausgeht und die direkte Wirklichkeit ist.

Zu Anfang des Kapitels betont Dôgen, dass Wertschätzung und Verehrung für den wahren eigenen Lehrer auf dem Buddha-Weg ganz wesentlich sind. Er sagt:
"Hingabe und Verehrung sind selbst eine große Dhâranî und die große Sache (des Buddha-Dharma). Ein großer und guter Lehrer ist ein Vorfahre, dem ihr aufrichtig im Alltag dienen solltet."

Eine solche Wertschätzung für den Meister kann sich ohne Worte ausdrücken, indem man intuitiv versteht, was er benötigt und was ihn erfreut und dann unmittelbar und entsprechend handelt. Hierfür gibt es verschiedene Beispiele und Koan-Gespräche, die dieses darstellen. Zum Beispiel wird im Shinji-Shôbôgenzô, Buch 1, Nr. 61 die Tatsache erläutert, dass ein Schüler dem Meister eine Schüssel mit Wasser reicht, damit dieser sich waschen und erfrischen kann, ohne dass der Meister darum gebeten hätte. Dieses sei die wunderbare Übereinstimmung zwischen Meister und Schüler, die nicht durch Worte, sondern durch direktes Handeln gekennzeichnet ist.
Dôgen formuliert dies wie folgt: "Deshalb werden die wunderbaren Kräfte und die wesentliche Geisteshaltung verwirklicht, wenn ihr den Tee bereitet, ihn dem Meister bringt. Eine Schüssel mit Wasser zu bringen oder das Wasser auszuschütten bedeutet, die Gegebenheiten nicht zu verändern und alles (intuitiv) von nebenan zu sehen und zu verstehen."

Dieser Text beschreibt das intuitive Verstehen zweier Menschen im Buddha-Dharma, das über Worte hinausgeht. Die Formulierung: "die Gegebenheiten nicht zu verändern" bezieht sich auf die hier zitierte Koan-Geschichte, in der der Meister dem Schüler als Test die unmöglich zu realisierende Aufgabe gibt, das Wasser aus einem Krug zu entfernen, ohne diesen zu bewegen oder anzufassen. Da eine solche verbal übermittelte Aufgabe nicht geleistet werden kann, muss der Schüler unabhängig davon intuitiv im Augenblick handeln und sich durch die paradoxen Worte nicht verwirren lassen. Dies gelte auch für die Anweisungen des eigenen Meisters.

Dôgen sagt dazu, dass man die Geisteshaltung des Buddha-Vorfahren erfahren und erforschen solle und "dass wir direkt der Geisteshaltung von einem oder zwei Buddha-Vorfahren begegnen."

Er erläutert, dass man durch solches Handeln die wunderbaren Kräfte der Buddhas erlangt und dass dies im höchsten Zustand des Buddhas etwas Natürliches sei. Er betont, dass in einem solchen Verhältnis der Schüler ehrerbietig und aufrichtig dienen sollte. Wir sollten uns dabei nach Norden niederwerfen.
Dôgen sagt, dass "die Menschen, Götter und Drachen sich (durch die Dhâranî) dem Buddha anvertrauen wollten."

Es wird weiter erwähnt, dass der Buddha, nachdem er die Wahrheit verwirklicht hatte, seinen früheren fünf Gefährten aus der Zeit der extremen Askese begegnete und diese sich vor ihm entgegen ihrem vorherigen Willen in Richtung Norden vor ihm niederwarfen und dadurch ihre Wertschätzung und Ehrerbietung zum Ausdruck brachten. Solche Niederwerfungen seien von den achtundzwanzig Vorfahren im Dharma in Indien und China vollzogen worden und dies bedeutet,

"dass sie den wahren Dharma angenommen haben und dies geschieht jenseits der (subjektiven) Absichten von Meister und Schüler. Dies ist nichts anderes als die große Dhâranî selbst."

Dôgen zählt dann verschiedene Formen der großen Dhâranî auf, zum Beispiel das vollkommene Erwachen, die persönliche Ehrenbezeugung, die verwirklichte Niederwerfung, das Kesa und "die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges."

Er sagt weiter:
"Durch die Kraft dieser großen Dhâranî wurde die ganze Erde befriedet und bewahrt, das ganze Universum der zehn Richtungen begründet und befriedet, der ganze Bereich der Zeit befriedet und offenbart, die ganze Buddhawelt errichtet und befriedet und das Innere und Äußere der Wohnstätten befriedet und verwirklicht."

Man erkennt daraus, dass diese großen Dhâranî für Dôgen die Wirklichkeit und Wahrheit des Buddha-Weges und Buddha-Lebens selbst sind und dass wir sie nicht als gesonderte rituelle Handlungen oder symbolische Gegenstände verstehen sollten. Diese genannten großen Dhâranî seien die "Mutter" aller anderen Dhâranî, die dann als Verwandte verstanden werden können.

Er erklärt, dass alle Buddhas und Vorfahren im Dharma durch dieses Tor der Dhâranî hindurchgegangen seien, "wenn sie den(Bodhi-)Geist erwecken, sich schulen, die Wahrheit verwirklichen und das Dharma-Rad drehen“. Deshalb seien die Dhâranî von so außerordentlich großer Bedeutung und man sollte sie nicht auf die leichte Schulter nehmen und selbst gründlich erfahren und erforschen.

Im zweiten Teil dieses Kapitels behandelt Dôgen das Gewand des Kesa und sagt wörtlich: "Letztlich ist das Gewand, das Shakyamuni Buddhas (Körper) bedeckt hat, das Gewand der Buddhas und Vorfahren des ganzen Universums. Dieses Gewand ist das Kesa. Das Kesa ist das Banner des buddhistischen Sanghas."

Er betont, dass es nicht einfach sei, dem Buddha-Dharma und besonders dem Kesa wirklich zu begegnen und einen wahren Lehrer des Buddha-Dharma zu finden. Er betont, dass man zur Lehre Gautama Buddhas Zugang findet, weil wir "die guten Wurzeln und die Kraft einer lang angesammelten Dhâranî erhalten haben." Dies sei gerade für Japan nicht selbstverständlich, weil es sich um ein abgelegenes Insel-Land handeln würde, das keinen hohen zivilisatorischen und kulturellen Stand wie Indien und China habe.

Das Kesa habe eine ganz große Bedeutung und Dôgen sagt, dass wir "bereits Shakyamunis Körper und Fleisch, seine Hände und Füße, seinen Kopf und seine Augen, sein Mark und sein Gehirn, seine strahlende Wahrheit und das Drehen des Dharma-Rades erlangt haben, wenn wir unseren menschlichen Körper nur einmal mit dem Kesa bedecken."

In den zenbuddhistischen Geschichten wird dazu das Beispiel erwähnt, dass eine Prostituierte das buddhistische Gewand des Kesa aus Spaß anlegte und dadurch dann auf den Buddha-Weg gelangte und das große Erwachen verwirklichte. Das Kesa wird getragen, wenn man sich vor der Statue von Gautama Buddha niederwirft oder wenn man seinem Meister seine Wertschätzung erweist. Dies könne vor dem Meister sein, der uns ordiniert oder der uns die Dharma-Übertragung gegeben hat. Durch die Dhâranî wird die Verehrung und hohe Wertschätzung zum Ausdruck gebracht und verwirklicht.

Am Ende dieses Kapitels zitiert Dôgen seinen eigenen Meister Tendô Nyojo, der lehrte:
"Hervorragende Beispiele (der Dhâranî sind Meister Eka), der durch den tiefen Schnee ging, um sich niederzuwerfen und (Meister Daikan Enô, der) sich mitten in der (Arbeit des) Reis(stampfens) niederwarf."

Diese Überlieferungen seien die großartigen Spuren aus der Vergangenheit der Vorfahren im Dharma und sie seien große Dhâranî.