Sonntag, 3. August 2008

Zur deutschen Übersetzung von "Begegnung mit dem wahren Drachen"

In einem Hotel in Tokyo, in dem ich mich vor vielen Jahren wegen einer beruflichen Konferenz aufhielt, wurde mir ein Fax von dem großen zenbuddhistischen Meister, Gudo Wafu Nishijima, zugestellt. In dem Fax hieß es, dass er sich darauf freue: "to have a talk on Buddhism together."


Dies hat mich damals sehr berührt. Ein großer, weltweit bekannter Zenmeister wollte mit mir aus dem Westen, den er gar nicht kannte, ein persönliches Gespräch über Buddhismus führen. Da war nichts von Hierarchie, von Oben und Unten oder von Härte eines Asketen zu spüren, sondern ganz im Gegenteil, er freute sich auf ein anregendes Gespräch unter Menschen wie Du und ich.

Wir vereinbarten dann ein Treffen nach dem Vortrag in seinem Zentrum in der City von Tokyo im ersten Stock eines modernen Hochhauses. Zunächst praktizierten dort die Teilnehmer gemeinsam Zazen vor einer weißen Wand, wobei mir ein Schüler von ihm freundlich und hilfreich das Nötige erklärte.

Dann gingen wir hinüber zu dem Vortragsraum. Ich schaute mich um, es waren meist junge Menschen, ein munteres Völkchen, aus vielen Ländern der Welt, die sich hier eingefunden hatten. Es herrschte eine Atmosphäre der lebendigen Erwartung auf den Vortrag. Ich gewöhnte mich dann schnell an die japanische Aussprache von Meister Nishijima und staunte allerdings nicht schlecht, als er sagte: "Buddhismus ist Zazenpraxis und Zazenpraxis ist Buddhismus."

Seit längerer Zeit hatte ich mich mit Buddhismus beschäftigt und auch praktiziert, hatte Niederwerfungen gemacht, ein Mantra auswendig gelernt, koreanische Gesänge gelernt und viele buddhistische Retreats bei der großen Meisterin Dae Poep Sa Nim besucht. Die einfache Aussage von Meister Nishijima kam mir wie ein Schlag eines Bildhauers vor: Buddhismus ist Zazen. Ich schaute mich um, es gab bei den Zuhörern keine Verwunderung oder gar Empörung, das war in der Tat für mich sehr überraschend.

Nach dem Vortrag stellte ich mich vor und er lud mich zu dem Gespräch in sein Zentrum in einem anderen Stadtteil ein. Wir fuhren mit der S-Bahn quer durch Tokyo dort hin. Er arbeitete damals intensiv an einer völlig neuen Übersetzung des großen indischen Mahayana-Meisters Nagarjuna mit dem Titel "Der Gesang des Mittleren Weges“. Er erzählte mir, dass er seit über einem Jahrzehnt Sanskrit gelernt habe und fest davon überzeugt sei, dass dieser Meister bisher nicht richtig übersetzt und verstanden worden sei.

Man muss bedenken, dass er damals schon Ende siebzig war, aber durch seine Lebendigkeit und geistige Beweglichkeit viel jünger wirkte. Er konnte durch seine freundliche, einfache Art schnell einen direkten, natürlichen Draht in einem Dialog aufbauen.
Am Ende des Gesprächs schenkte er mir sein Buch "To Meet The Real Dragon" und zwei Bände von Dogens Shobogenzo, die er zusammen mit Chodo Cross übersetzt hatte. Er gab mir mit auf den Weg, dass das Drachenbuch eine gute Einführung in Dogens oft komplexe und schwer zu verstehende umfassende Lehre des Buddhismus sei.

Als ich dann im Flugzeug nach Deutschland saß, wurde bald das Licht ausgedreht, während ich die kleine Leselampe über meinem Sitz anknipste und anfing, in dem Drachen-Buch zu lesen. Schon nach wenigen Seiten war ich ganz gefangen von der einfachen, und kräftigen Sprache. Alle Müdigkeit war wie fort geblasen.

Ich dachte mir: Dies ist das wichtigste Buch, das ich seit langer Zeit gelesen habe. Besonders faszinierend waren seine Ausführungen über die westliche Kultur und Philosophie, die aus der Sicht eines Ostasiaten in holzschnittartiger Klarheit die Eckpunkte unserer westlichen Zivilisation und Kultur beschrieb. Während des gesamten Fluges von fast zwölf Stunden las ich ohne Unterbrechung in dem Buch. Das ganze große Flugzeug war abgedunkelt und nur meine kleine Leselampe gab das nötige Licht. So habe ich während des Fluges fast das ganze Buch durchgelesen.

Wir vereinbarten später, dass ich eine deutsche Übersetzung anfertigen würde. Mit Meister Nishijima bin ich nun seit über dreizehn Jahren eng verbunden. Ich wurde sein Schüler und habe inzwischen die Dharma-Übertragung von ihm erhalten. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, seinen klaren optimistischen Buddhismus durch die Übersetzung dieses Buches auch in Deutschland weiter zu verbreiten. Inzwischen sind auch die französische, spanische und hebräische Übersetzung erschienen und eine schwedische ist in Vorbereitung.

Der Drachen ist ein Fabeltier, das sowohl im Osten als auch im Westen von beeindruckender Stärke beschrieben wird, aber durchaus unterschiedliche moralische Bedeutungen hat. In Ostasien überwiegt der positive Aspekt, denn der Drache hilft dort den Menschen. Er verbindet durch seine Fähigkeit zu fliegen den Himmel, die Erde und auch das Wasser und trägt die Perle der großen Weisheit unter dem Kinn.

Im Westen denken wir vor allem an ein Furcht erregendes, böses Untier, das vom jungen Helden Siegfried getötet wurde und schon viele Menschen verschlungen hatte. Siegfried befreite Brunhild und gewann durch seinen Sieg den Nibelungenschatz. Er wurde durch das Drachenblut bis auf eine einzige Stelle unverwundbar. Häufig ist der Drachen das Symbol für das wilde Tier in uns Menschen, das besiegt und unterworfen werden muss.

In neuerer Zeit ist allerdings auch im Westen festzustellen, dass die positive Aspekte des Drachen zunehmen, wie zum Beispiel in dem Märchenbuch „Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende, wo der Drachen mit seinen großen Fähigkeiten und Kräften den Menschen hilft. Eine psychologische Interpretation sieht in dem Drachen das Gleichnis für das Unbewusste, das durchleuchtet und integriert werden sollte. Der Therapeut hilft dabei, den Schrecken zu ertragen. So kann der Drachen durchaus als symbolische Brücke zwischen Ost und West wirksam werden.

Der Buddhismus ist von einer positiven, lebensbejahenden Kraft und Weltanschauung durchdrungen, besonders im Zen. Dies wird auch immer wieder von Nishijima Roshi betont. Danach ist der natürliche Zustand des Menschen dann im Gleichgewicht, wenn wir Zazen praktizieren und auf dem Buddhaweg sind. Dann verliert der Drachen auch im Westen seine Schrecken und gibt den Menschen im Gegenteil unerwartete Kraft und Lebensfreude. Dann begegnen wir dem wahren Drachen. Das ist genau das Thema dieses Buches: Die Wirklichkeit ist eine wunderbare Wahrheit, vor der wir nicht davon laufen sollten, weil sie genau unsere Natur ist und uns heilt.

Dieses ist ein ungewöhnliches Buch über den Zen-Buddhismus, das als Einführung ausgezeichnet geeignet ist. Es wird zum ersten Mal in deutscher Sprache vorgelegt. Auch schwierige Teile der Lehre werden kompetent, zeitnah und unkompliziert dargestellt und erklärt. Dies ist in der Tat nicht häufig anzutreffen.

Den Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Freude und hoffe, dass sie den Weg des Gautama Buddha besser verstehen, ihn selbst beginnen oder mit verstärkter Freude fortsetzen.