Dienstag, 16. September 2008

Das Empfangen der buddhistischen Gelöbnisse (Teil 2)

Der große Buddha in Kamakura



Der Meister sagt nach diesem ersten Teil der Zeremonie:
"Gute Söhne und gute Töchter, jetzt haben Sie das Falsche verlassen und sich dem Wahren gewidmet. Die Gelöbnisse umgeben Sie bereits. Sie sollen jetzt die drei zusammengefassten reinen Gelöbnisse empfangen."

II.) Die drei zusammengefassten allgemeinen Gelöbnisse:

Das erste betrifft die Einhaltung der buddhistischen Regeln, das zweite ist das moralische Gesetz und das dritte ist das Gelöbnis, dass wir allen Lebewesen Gutes tun und sie retten. Diese grundsätzlichen Gelöbnisse werden vom Meister als Frage jeweils dreimal formuliert und vom Schüler jeweils dreimal mit den Worten: "Ich kann es halten“ beantwortet.
Dann sagt der Meister:

"Jedes der drei vorherigen zusammengefassten reinen Gelöbnisse darf nicht verletzt werden. Können Sie diese Gelöbnisse von Ihrem gegenwärtigen Körper bis zum Erlangen von Buddhas Körper halten oder nicht?"

Die Antwort lautet: "Ich kann sie halten."
Dies wird ebenfalls dreimal wiederholt.

III.) Die zehn Boddhisattva-Gelöbnisse:

Dann wird die Zeremonie mit den zehn einzelnen und sehr viel konkreteren Bodhisattva-Gelöbnissen in derselben Weise fortgesetzt. Der Meister fragt den Schüler zu jedem Gelöbnis dreimal, ob er dies einhalten kann und der Schüler antwortete jedes Mal: "Ich kann es halten."
Die Gelöbnisse lauten wie folgt:

1. Nicht zu töten

2. Nicht zu stehlen

3. Sich nicht der Gier hinzugeben
Dieses Gelöbnis wird häufig sexuell interpretiert. Es hat dann den Sinn, niemanden sexuell zu missbrauchen. Damit wird also keineswegs die sexuelle Liebe insgesamt abgelehnt, sondern der Missbrauch, zum Beispiel durch Machtausübung, psychischem Terror, finanzieller Abhängigkeit und dergleichen soll verhindert werden.

4. Nicht zu lügen

5. Keinen Alkohol zu verkaufen
Nishijima Roshi vermutet, dass dieses Gelöbnis ursprünglich verhindern sollte, dass übermäßig viel Alkohol getrunken wird und eine Abhängigkeit und damit Alkoholkrankheit entsteht. Er meint, dass in den nördlichen Ländern, insbesondere im nördlichen China der Konsum von Alkohol allerdings wegen der langen Winter ganz normal und für das Durchhalten in der Periode der Kälte und Dunkelheit wichtig war. Wer jedoch sein Geld damit verdient, Alkohol zu vertreiben und zu verkaufen, ist in der Tat moralisch in einem sehr schwierigen Beruf tätig. Wir wissen von den meisten hoch im Norden gelegenen Ländern, dass dort große Alkoholprobleme bestehen und dass daher ein grundsätzliches Verbot des Kaufs und Verkaufs von Alkohol verhängt wurde. Man denke etwa an die Länder Finnland, Schweden und Norwegen. In südlichen Ländern wird zwar auch regelmäßig Wein oder Bier getrunken, aber große Gefahren für die Volksgesundheit wie in nördlichen Ländern sind dort weniger bekannt. Erwähnt sei noch, dass Mohammed im Islam den Alkohol ebenfalls für schädlich eingeschätzt und daher verboten hat.

6. Nicht die Überschreitungen und Verfehlungen anderer Bodhisattvas zu diskutieren
Dieses Gelöbnis soll verhindern, dass emotional aufgeheizte Diskussionen zwischen den Mitgliedern einer Sangha, also von Menschen, die auf dem Buddha-Weg sind, geführt werden. Oft geht es in solchen Streit-Gesprächen darum, dem jeweils anderen vorzuwerfen, dass er die Gelöbnisse verletzt oder gebrochen hat. Wer die Wirklichkeit in den buddhistischen Gruppen und Sanghas kennt weiß, dass dies in der Tat ein wichtiges Problem ist. Nishijima Roshi erläutert dazu, dass das besondere Engagement für eine gute buddhistische Lebensführung zur überzogenen Kritik an anderen führen kann. Es handelt sich dann um die idealistische buddhistische Lebensphilosophie, die sich zur Ideologie verkehrt hat, ohne dass es dem Handelnden bewusst wird. Die Fehler werden dann in übergroßer Klarheit beim anderen Menschen gesucht und gefunden. Solche Diskussionen haben oft zur Folge, dass es zu tief greifenden Spannungen und Trennungen kommt.

7. Sich selbst nicht zu loben und andere nicht zu kritisieren
Im gleichen Sinne, und weiter präzisiert, soll das siebte Gelöbnis verhindern, dass man sich selbst lobt und überschätzt und den anderen abwertet und kritisiert. Auch ein solches Verhalten ist leider in buddhistischen Gruppen zu beobachten. Bei derartiger Selbstüberschätzung und Überheblichkeit können wir davon ausgehen, dass dies den Handelnden oft nicht bewusst ist. Die angeblichen oder wirklichen Fehler und Unzulänglichkeiten des anderen werden dabei erheblich vergrößert. Die Kritik hat dann meist das psychische Ziel, sich selbst über den anderen zu erheben und ihm moralische Minderwertigkeit zu bescheinigen.

Ein solches Phänomen tritt verständlicherweise besonders dann auf, wenn jemand fälschlich meint, er habe die große Erleuchtung erlangt. Er sei daher vollständig im Recht und es sei sogar seine Pflicht, andere zu kritisieren und zu „erziehen“. Ähnliche Fehlentwicklungen lassen sich bei der Übung der Achtsamkeit feststellen, indem man sich selbst als sorgfältig und achtsam ansieht und den anderen entsprechende Unachtsamkeit vorwirft. Formulierungen wie "Du stehst weit unter mir und ich bin auf dem Niveau der großen Meister" sind dabei durchaus anzutreffen. Derartige Selbstüberschätzungen gibt es beim Denken, Reden und Handeln, wenn es um eigene Interessen geht, die dem Handelnden jedoch ebenfalls meist nicht voll bewusst sind. Im Buddhismus ist dabei besonders das Streben nach Ruhm, Anerkennung und Macht zu nennen. Dann werden andere Menschen, die zum Beispiel auf demselben Gebiet arbeiten, als Konkurrenten und Feinde empfunden und bekämpft. Dies gleicht fast einem klassischen Western, bei dem es zu Gier, Misstrauen und tödlicher Feindschaft innerhalb der Gruppe kommt, wenn die Beute aufgeteilt wird.

8. Anderen nicht den Dharma oder den Besitz von Materiellem zu missgönnen
In diesem Gelöbnis geht es darum, dass man freigiebig und von ganzem Herzen anderen etwas gibt oder sie beschenkt. Wie Dôgen erläutert, muss es sich dabei nicht unbedingt um materiell wertvolle Dinge handeln, denn auch kleine Aufmerksamkeiten können eine menschliche Beziehung wesentlich verbessern und Abneigung in Sympathie umwandeln.

Dôgen erwähnt hier besonders, dass man die Lehre des Buddha-Dharma freigiebig an andere geben soll, wenn diese darum bitten oder es für sie wichtig ist. Man soll daher anderen den Dharma nicht missgönnen und vorenthalten, um selbst ein Gefühl der spirituellen Überlegenheit zu haben oder den anderen in Abhängigkeit zu bringen. Dies erinnert an die Situation in der Schule, wo ein "Streber" sein Wissen nicht an andere abgeben will und in der Klassenarbeit schon gar nicht abschreiben lässt. Der Dharma ist aber keine Materie und keine einfaches Wissen, das man für sich behalten und horten kann, sondern sollte freimütig an andere gegeben werden. Es gibt sogar Beispiele in dem Sangha, wo ein Schüler buddhistische Informationen, die er von seinem Meister erhalten hat, nicht an andere weitergeben will.

Er verhält sich so, als ob diese Informationen eine Erbschaft sei, die nur ihm allein zusteht. In diesem Zusammenhang muss sicher auch erwähnt werden, dass manche Meister ihre buddhistische Lehre leider nur zu hohen Preisen an die Schüler weitergeben wollen. Die dabei verwendete Begründung lautet dann etwa wie folgt: "Wenn die Lehre nicht teuer ist, wird sie nicht geachtet."

Es ist bekannt, dass Gautama Buddha im Gegensatz dazu darauf hinarbeitete, dass religiöse Zeremonien möglichst kostenlos gegeben werden, nicht zuletzt weil die „Preise“ der damaligen Brahmanen immer weiter gestiegen waren. Selbst Mitglieder der Mittelschicht mussten große Anteile ihres Einkommens für Zeremonien und Unterweisungen aufbringen. Ärmere Menschen mussten dann aus Kostengründen auf derartige spirituelle Hilfen ganz verzichten.

Die Gelöbnisse 6. bis 8. haben einen klaren Bezug zum sozialen Handeln der Menschen. Dies ist im Einklang mit dem Ansatz des Mahâyâna und dem Ideal des helfenden Bodhisattvas zu verstehen. Im Vergleich zu den zehn Geboten des Christentums fällt auf, dass es eine direkte Entsprechung zu diesen drei buddhistischen Gelöbnissen nicht gibt.

9. Nicht wütend zu werden

10. Die drei Juwelen des Buddhismus nicht zu beleidigen
Dass wir als Buddhisten die drei Kostbarkeiten Buddha, Dharma und Sangha schätzen und in Ehren halten, versteht sich eigentlich von selbst, wird aber in den zehn Gelöbnissen als Letztes besonders und klar ausgedrückt.