Dienstag, 5. Januar 2010

Die Siebenunddreißig Elemente des Erwachens und der Wahrheit, Teil 1.


Für Dogen gab es nur einen einzigen Buddhismus, er lehnte daher die Trennung in Mahayana und Hinayana, Theravada oder sonstige Schulen und Sekten grundsätzlich ab. Da sich alle authentischen Übertragungslinien und Lehren des Buddha-Dharma nur auf Gautama Buddha selbst zurückführen lassen, könne es eine derartige abgrenzende Aufsplitterung und Trennung überhaupt nicht geben. Gleichwohl hat der Buddhismus mit seiner lebendigen Verbindung zur Wirklichkeit und Wahrheit in den verschiedenen Zeitaltern und Kulturen bestimmte Färbungen angenommen und Schwerpunkte gebildet. Aber es handelt sich immer um die einheitliche Lehre des Erwachens, der Befreiung und der Überwindung des Leidens.

Besonders unsinnig sind gegenseitige Vorwürfe und Abgrenzungen der einzelnen buddhistischen Traditionen, da sie nicht nur dem Sinn des Buddhismus als einer tolerante, übergreifende und verständnisvolle Lebensphilosophie widersprechen, sondern auch im Kern falsch sind. Es gibt sicher verschiedene Wege zum Erwachen und zur Wahrheit, aber diese selbst können nur auf Gautama Buddha selbst zurückgeführt werden.

In diesem großartigen Kapitel (Kap. 73, Sanjushichi-bon bodai bunpo) verbindet Dogen die Lehren des frühen Buddhismus, die zum Beispiel im Abhidharma zusammengefasst sind, mit der von ihm selbst im Shobogenzo ausgebreiteten Lehre, die er die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges nennt. Eine solche umfassende Darstellung der im Abhidharma wiedergegebenen Lehre des Buddhismus mit dem Lehrgebäude des Mahayana im Zen ist sehr selten und besonders bemerkenswert.
In diesem Kapitel gibt es ca. 50 Verweise auf einzelne Kapitel des Shobogenzo und 16 Verweise auf seine Koan-Sammlung Shinji Shobogenzo. Dogen entwickelt in diesem Kapitel ein enges Netzwerk zwischen den beiden Lehr-Traditionen des frühen Buddhismus und Mahayana. Eine solche Verbindung ist auch bei einigen Zen-Buddhisten weniger bekannt, da diese sich bisweilen vom Theravada absetzen wollen und sogar als einseitig und veraltet abwerten. Eine solche Haltung kann jedoch nicht der wahre Buddhismus sein.

Dogen bezieht sich bei den Verweisen auf seine eigene Koan-Sammlung, die von G. W. Nishijima und C. Cross als Fußnoten explizit eingefügt wurden, besonders häufig auf die Kapitel zur Zazen-Praxis. Diese ist eigentlich keine Meditation in engerem Sinne, da sie kein Meditationsobjekt hat und keine Konzentration auf ein bestimmtes Thema, auf ein Koan oder Mantra beinhaltet, sondern ist nur die Praxis des Sitzens ohne Denken und Emotionen. Er selbst hatte die Zazen-Praxis erst bei seinem eigenen Lehrer Tendo Nyojo in China kennen gelernt, denn sie war in dieser Form in Japan am Anfang des 13. Jahrhunderts noch unbekannt.