Mittwoch, 30. Juni 2010

Das Gleichnis des Mondes


Dôgen sagt: „Ein Mensch, der die Verwirklichung erlangt, gleicht dem Mond, der im Wasser gespiegelt wird: Der Mond wird nicht nass und das Wasser wird nicht (durch den Mond) gebrochen.“

Das Gleichnis des Mondes, der sich im Wasser spiegelt, wird im Zen-Buddhismus gern für die Erleuchtung und das Erwachen verwendet. Zunächst ist es ein Bild tiefer Poesie und gibt den ruhigen, ausgeglichenen Zustand wieder, der auf dem buddhistischen Weg erlangt werden kann. Die Natur wird häufig zur Beschreibung der Selbststeuerung des Menschen herangezogen, wie zum Beispiel im Kapitel „Die Natur und die nicht-empfindenden Wesen lehren den Buddha-Dharma“. Das Bild hat nichts Gewaltsames, denn es heißt, dass die Oberfläche des Wassers durch den Mond nicht gestört und „gebrochen“ wird.

Nishijima Roshi sagt dazu, dass es bei der Erleuchtung wesentlich sei, sich diese immer als Zustand des Gleichgewichts zu vergegenwärtigen. Wir sollten niemals irgendeine großartige Besonderheit dabei erwarten. Da die Erleuchtung im Gleichgewicht stattfinde, sei sie immer ruhig und schön wie die Natur.
Dōgen führt das Gleichnis des Mondes noch ein wenig aus:

Obgleich das Licht (des Mondes) weit und groß ist, wird es in einem Wasser von (nur) einem Fuß oder einem Zoll (Länge oder Breite) gespiegelt.“
Das Gleichnis des sich im Wasser spiegelnden Mondes ist unabhängig von der Größe der Wasseroberfläche aussagekräftig; es gilt sogar für einen kleinen Tautropfen. Der Mond passt sich mit seiner Spiegelung offensichtlich den verschiedenen Formen des Wassers an, und zwar ohne jede Schwierigkeit und Verzögerung. Er steht dabei einerseits als Symbol für die Erleuchtung, wenn er rund ist und als Vollmond auf die Erde scheint. Andererseits existieren viele verschiedene Formen des Mondes, die jeweils für sich die Realität widerspiegeln und genauso gesehen und erfahren werden sollten, wie sie sind.
Dôgen verwendet in diesem Zusammenhang auch das Symbol eines Wassertropfens auf einem Grashalm, in dem sich der Mond und der Himmel spiegeln. An anderer Stelle weist er darauf hin, dass ein Wassertropfen auf dem Blatt einer Pflanze während des Vormittages schnell mit der höher steigenden Sonne verdunstet und dass damit die Flüchtigkeit unseres Lebens und der Dinge dieser Welt symbolisiert wird. Wenn wir uns völlig dem Augenblick der Gegenwart öffnen, müssen wir uns keine Sorgen über die Vergänglichkeit machen, weil wir dann die ganze Fülle und Schönheit der Welt erfahren und erleben.