Sonntag, 7. August 2011

Der zweite gedachte Mensch in uns



Nishijima Roshi sagt zusammenfassend zum Problem von Realität und intellektuellem Denken: „Wir sollten klar den Unterschied zwischen der intellektuellen und wirklichen Welt erkennen.“ Er betont die große Lücke zwischen dem intellektuellen Verstehen eines Satzes sowie der Wirklichkeit und fügt hinzu:

„Ich denke, dass fast alle anderen Philosophien in dieser Welt, außer dem Buddhismus, nicht eine solche wertvolle Dimension der Unterscheidung (zwischen Denken und der Wirklichkeit) überhaupt treffen.“

Handeln und das genaue Beobachten des eigenen und fremden Handelns können wirksam helfen, diesen Unterschied immer klarer zu erfassen. Man lässt sich dann auch nicht so leicht von schönen Worten „einseifen“!
Dōgen bringt dieses Thema auf den Punkt:
„Wir sollten wissen, dass jene Menschen der Vergangenheit und Gegenwart, die den Geist geklärt haben, indem sie die Formen (wirklich) sehen, und die Wirklichkeit realisiert haben, indem sie die Laute (wirklich) hören, (überhaupt) keine intellektuellen Zweifel hatten, nach der Wahrheit zu streben. Genau im Augenblick der Gegenwart gibt es keinen zweiten (gedachten) Menschen.“
Für Dōgen ist es von großer Bedeutung, dass wir grundsätzlich an die Wahrheit in dieser Welt und in unserem Leben glauben und nicht durch Zweifelsucht und dauerndes Kritisieren uns selbst verwirren. Gerade intellektuelle Zyniker sind häufig von Grund auf misstrauisch und kritisieren alles und jeden. Sie verlieren dadurch selbst ihre Freude sowie deren psychische Energie und damit die wesentliche Grundlage ihres eigenen Lebens.

Nach Gautama Buddha ist eine solche Zweifelsucht ein maßgebliches Hemmnis für die Erleuchtung. Zweifelsucht ist etwas ganz anderes als ausgewogene Vernunft und sachlich begründete Kritik. Sie basiert oft auf der Unzufriedenheit mit sich selbst und diese wird dann nach außen auf andere Menschen oder Situationen projiziert.

Dazu kommen dann meist noch die Klage und der moralische Vorwurf, dass es nicht gerecht in der Welt zugehe und sie selbst etwas Besseres verdient hätten. Häufig handelt es sich dabei um mehr oder minder geschickt maskierten Neid. Das bedeutet aber nicht, dass wir naiv und allzu gläubig irgendwelchen angeblichen Wahrheiten hinterherlaufen, sondern wir sollten selbst einen klaren Geist entwickeln, um erkennen zu können, was zur Wahrheit gehört und was nicht.
Dōgen führt einige Beispiele an, dass Menschen sogar zur Wahrheit gefunden haben, ohne dass sie, wie er es sonst lehrt, intensiv Zazen praktizierten. Aber sie hätten das tiefe Vertrauen in die Wahrheit gehabt und dadurch einen Wegweiser durch alle Verwirrungen und Täuschungen des Lebens besessen. Wir sollten uns der Mode-Erscheinung nicht anschließen, alles und jedes zu bezweifeln und uns damit interessant machen. Das ist nicht lange interessant, sondern stößt andere Menschen bald ab.
Sehr wichtig ist, dass es in uns „keinen zweiten Menschen“ gibt. Was bedeutet diese eigenartige alte chinesische Formulierung? Nishijima Roshi erläutert sie: „Es ist wichtig, keinen Zweifel an der Wahrheit zu haben und keine Spaltung in unserer eigenen Person (also in uns selbst) zu haben.“ Wir sollen also nicht quasi aus zwei Menschen bestehen, denn dann verfügen wir über kein inneres Gleichgewicht. Eine Unterscheidung in ein spirituelles Ich und ein physisches, körperliches Ich bewirkt zum Beispiel, dass wir keinen Zugang zur Wirklichkeit besitzen.
Wenn man bewusst oder unbewusst nur an die Wirklichkeit der Ideen glaubt, ist es nicht möglich, ein tragfähiges Vertrauen in die Wahrheit des Lebens, des Handelns und der Welt zu entwickeln. Dann ist letztlich alles rtelativ. Dasselbe gilt, wenn man recht oberflächlich nur an materielle Realitäten glaubt, denn auch Materialisten finden keinen Zugang zur umfassenden Wahrheit.