Montag, 3. Oktober 2011

Die Einheit der Sein-Zeit mit dem Leben und der Welt

Der zentralen Frage nach der Zeit wollen wir jetzt nachgehen, indem wir uns dem Kapitel des Shōbōgenzō über die Sein-Zeit widmen.

Meines Wissens hat Philip Kapleau mit Unterstützung von Harada Roshi zum ersten Mal einen Teil dieses Kapitels in eine westliche Sprache übertragen. Nach seiner Überzeugung war Dōgen „wahrscheinlich der glänzendste Geist, den der japanische Buddhimus hervorgebracht hat“.
Und weiter:
„In unterrichteten Zen-Kreisen sagt man, dass die tiefsinnigen Kapitel des Shōbōgenzō der Mount Everest des japanischen Buddhismus seien.“ Dabei sei das Kapitel 11 über die Sein-Zeit „vermutlich das tiefsinnigste dieses Buches (Shōbōgenzō)“.

Dōgen gelangt zu der radikalen Schlussfolgerung, dass die Wirklichkeit, die Zeit als Gegenwart und das Handeln unauflösbar miteinander verbunden sind! Nur wenn wir dies in unserem Leben praktisch realisieren, sind wir in der Wirklichkeit und Wahrheit, und das ist der Buddha-Dharma oder das Erwachen.
Eine solche Erfahrung kann man besonders klar bei der Zazen-Praxis machen; ich bezeichne sie mit Nishijima Roshi als die erste Erleuchtung.

Der Zen-Buddhismus legt großen Wert auf das tägliche Leben, in dem sich die Sein-Zeit sowohl in der Zazen-Praxis als auch im Alltagshandeln als erste Erleuchtung ereignen kann. Erleuchtung ist nämlich kein erträumter Idealzustand des Geistes, der unabhängig vom Körper und der Zeit existiert, sondern praktisches Leben im Hier und Jetzt.
Gehen wir nun aber ins Detail und klären die einzelnen Aussagen Dōgens Schritt für Schritt.
Am Anfang des Kapitels zitiert Dōgen ein Gedicht des alten Meisters Yakusan Igen:

„Ein ewiger Buddha sagt:
‚Manchmal, zur Sein-Zeit, auf dem höchsten Berggipfel stehend.
Manchmal, zur Sein-Zeit, auf dem Grund des tiefsten Ozeans bewegend.
Manchmal, zur Sein-Zeit, drei Köpfe und acht Arme (des zornigen Tempelwächters).
Manchmal, zur Sein-Zeit, der 16 Fuß (stehende), oder der acht Fuß (sitzende goldene Leib des Buddhas).
Manchmal, zur Sein-Zeit, ein Stab oder ein Fliegenwedel (für die Zeremonien).
Manchmal, zur Sein-Zeit, ein Außenpfeiler (des Tempels) oder eine Steinlaterne.
Manchmal, zur Sein-Zeit, der (ganz normale) dritte Sohn des Chang oder der vierte Sohn des Li.
Manchmal, zur Sein-Zeit, die Erde und der Raum.‘“

Dieses Gedicht drückt die Einheit der Sein-Zeit mit allen Bereichen und Dingen des Lebens und der Welt aus.