Sonntag, 30. August 2015

Die Reden Buddhas: Königlichen Juwelen


Dōgen fordert die Einheit von Theorie und Praxis, also von Denken, Wahrnehmen und Handeln. Darüber hinaus komme es ganz wesentlich auf selbstloses moralisches Handeln an, was in den Kapiteln über soziales Verhalten und über das Handeln der Bodhisattvas[i] aufgezeigt wird. Nur in der Einheit dieser vier Lebensbereiche kann es zum Erwachen oder zur Erleuchtung des wahren Geistes kommen.

 Dōgen nennt die Dharma-Reden von Gautama Buddha und den wahren Meistern die „königlichen Juwelen“ und bringt damit seine große Wertschätzung zum Ausdruck. Außerdem hätte er selbst sicherlich keine umfangreichen Schriften verfasst, die hauptsächlich auf seinen mündlichen Dharma-Reden beruhen, wenn er der Lehre und dem Sprechen keinen hohen Stellenwert gegeben hätte.

Der Geist ist nach seiner Überzeugung „die Haut, das Fleisch, die Knochen und das Mark“ der großen Buddhas und Meister, und er steht für die Einheit von Lehre, Natur und Geist:

„Das Tiefgründige, mit dem die Buddhas und Vorfahren innig vertraut sind, umfasst (auch) die Säulen und Steinlaternen im Freien. Das Wunderbare, worüber die Buddhas und Vorfahren sprechen, sind die Weisheit und das Verstehen.“

Wenn die Wirklichkeit von Geist und Natur nicht mit Worten erklärt und geäußert wird, kann sich das „wunderbare Dharma-Rad nicht drehen“, hält Dōgen fest. Der Bodhi-Geist kann dann nicht erweckt werden, obgleich er am Anfang des Buddha-Weges steht, und die Wahrheit der Lebewesen und der Erde kann sich nicht erfüllen.

Er verbindet die Einheit von Geist und Natur mit den großen Ereignissen der buddhistischen Geschichte in China und verdeutlicht dabei, dass man sie in Worte fassen muss. Solche Gespräche müssen wir uns grundsätzlich wie die bedeutenden Kōan-Dialoge vorstellen, die scheinbar paradox sind, aber in Wirklichkeit Tiefgründiges zum Klingen bringen und gerade nicht unvernünftig sind. Sie überschreiten die Begrenztheit des unterscheidenden Verstandes und der intellektuellen Scharfsinnigkeit, ohne in allgemeines magisches oder mystisches Geschwätz abzugleiten.

Dōgen rät gerade den sogenannten gewöhnlichen Menschen, die sich nicht auf dem Buddha-Weg befinden, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, ob sie zur großen Wahrheit vorgedrungen sind oder nicht und ob sie sich mit vordergründigen oder sogar eitlen Gesprächsformen zufriedengeben.

Es nützt laut Dōgen nichts, wenn man die Trennung und Dualität von Geist und Natur nur abstrakt beschreibt und deren Überwindung nur theoretisch fordert und darüber redet. In diesem Zusammenhang kritisiert er besonders den Meister Sōkō, der die Einheit des Geistes mit dem Körper, also mit den eigenen Händen, besonders im Handeln nicht erkannt und gelehrt habe. Die Weiterentwicklung nach dem Erwachen habe Sōkō nicht verwirklicht.

Dōgen zitiert Bodhidharma, der bestätigte, dass sein Schüler den höchsten Zustand erlangt hatte, bei dem man die Grenzen der Worte klar erkennt, aber gleichzeitig weiß, dass die Sprache zum Ausdrücken und Lehren der Wirklichkeit unbedingt erforderlich ist. Wenn man es aufgibt, die Wirklichkeit von Geist und Natur so weit wie möglich verbal auszudrücken, wird man den höchsten Zustand niemals erreichen, betont Dōgen. Und er lobt Tozans Äußerung „Im Tod selbst ist kraftvolles Leben“. Damit sei gemeint, dass sich durch den

„Tod der vorgefassten Meinungen, Vorurteile und Täuschungen“

das kraftvolle Leben voll entfaltet. Eine solche Aussage gehe über die subjektive Individualität eines Menschen hinaus und erreiche die Ebene einer absoluten Aussage, die universell sei wie das Universum selbst.

Der Ausdruck „kraftvolles Leben“ kennzeichnet das Leben hier und jetzt in der klaren Wirklichkeit, das nicht überschattet wird von schweren Gedanken über den zukünftigen Tod, die sich wie ein dunkler Vorhang vor die strahlende Wirklichkeit des Hier und Jetzt schieben. Das können wir vermeiden, besonders bei der "German Angst".




[i] ZEN Schatzkammer, Bd. 2, Kap. 33, S. 80 ff.: „Der Bodhisattva des großen Mitgefühls und des Helfens (Kannon) und Kap. 45, S. 172 ff.: „Die vier Arten des sozialen Handelns eines Bodhisattva (Bodaisatta shishōbō)