(Nishijima Roshi)
In der schwierigen Situation
der Gegenwart möchte ich anregen, dass wir auf den Buddhismus schauen. Er ist
keine der bekannten rein spirituellen
Religionen und auch kein materialistisches
System. Buddhismus ist eine Lebensweise, die auf dem Handeln basiert.
Die Haupt-Charakteristik der
buddhistischen Philosophie besteht darin, dass sie auf der wahren Natur des
Handelns selbst beruht. Und das ist identisch mit der Verwirklichung der
Buddha-Natur, die weder idealistisch noch materialistisch ist.
Im Folgenden möchte ich
aufzeigen, warum der Buddhismus wichtige Impulse für zukünftige Glaubenssysteme
dieser Welt geben kann. Als ich ein Student von 17 oder 18 Jahren war, faszinierte
mich ein Buch mit dem Titel Shôbôgenzô.
Ein buddhistischer Mönch, Meister Dôgen, hatte es im 13. Jahrhundert verfasst.
Für mehr als 50 Jahre beschäftigte ich mich
mit diesem großen Werk, habe es in modernes Japanisch übersetzt und wieder und
wieder studiert. Indem ich es immer wieder durcharbeitete, gewann ich Klarheit
über seine Bedeutung. Über sechstausend Mal und an vielen Orten habe ich über
das Shôbôgenzô gelehrt.
Diese lang andauernde,
intensive Beschäftigung hat mich dazu geführt, ganz klar zu erkennen, dass das,
was Meister Dôgen im Shôbôgenzô
unternimmt, die Erklärung der Natur der
Wirklichkeit ist. Seine tiefgründigen
Überlegungen konzentrieren sich auf die Natur des Handelns. Das Kriterium für
das wahre Leben, das Dôgen erklärt, beruht nicht auf spirituellem Glauben oder materiellen „Tatsachen“, sondern
konsequent auf unserem Handeln. Dieses Kriterium kann die Grundlage für eine
neue Sicht der Welt bilden, eine neue tragfähige
Philosophie für die Zukunft.
Zu dieser Überzeugung bin
ich folgendermaßen gekommen: In einem Kapitel im Shôbôgenzô über das tägliche Leben (Kajô)[i]
zitiert Meister Dôgen seinen eigenen chinesischen Meister Tendô Nyojô:
„Die goldene und strahlende Form ist,
gekleidet zu werden und Mahlzeiten zu essen.“
Die Formulierung „goldene
und strahlende Form“ bezieht sich hier auf die Figur Gautama Buddhas selbst,
von dem man sagt, dass ihn eine goldene Aura umgibt. Tendô Nyojôs Worte
bedeuten, dass unser tägliches Handeln, also zum Beispiel zu essen und sich
anzuziehen, den goldenen Glanz
Buddhas beinhaltet; diese täglichen Handlungen leuchten aus sich selbst heraus.
Diese klare Aussage enthält
die Essenz des Buddhismus, die sich direkt auf unser reales Handeln im Alltag
bezieht. Handlungen formen das wirkliche Zentrum unserer wahren Existenz.
Ein anderes wichtiges
Kapitel im Shôbôgenzô heißt Jinzû oder auf Deutsch „Die mystischen Kräfte“[ii]. Es
untersucht die Wirklichkeit der besonderen Kräfte, welche die Menschen durch
das buddhistische Training erlangen. Meister Dôgen zitiert darin einen Chinesen
mit dem Namen Ho-on, der Laie war und
den Buddhismus studierte, während er in der sozialen Gesellschaft arbeitete:
„Die mystische Kraft und wundersame
Funktion, Wasser zu schöpfen und Feuerholz zu tragen.“
Dieser Vers besagt, dass die
buddhistische Bedeutung der mystischen Kraft und wundersamen Funktion in dem
enthalten ist, was damals zum täglichen Handeln gehörte, nämlich Wasser zu
holen und Feuerholz zu tragen – Wasser zum Trinken und zum Kochen, Feuerholz fürs
Kochen und Heizen.
Was ist mystisch und
wunderbar bei diesen Aktivitäten? Sie geben uns tatsächlich das Leben – sie sind unser Leben selbst. Wenn wir
den Buddhismus auf diese Weise betrachten, können wir sehen, dass er keine
Religion ist, die auf etwas beruht, das wir nur in unserem Geist erzeugen. Er ist eine Religion, die uns klar lehrt,
wie wir unser Leben Tag für Tag führen
können.