Mittwoch, 6. Juli 2016

Das mystische Erlebnis der Buddha-Natur


Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick über die Überlieferung zur Buddha-Natur und des klaren Lichts in Indien geben; dabei folge ich den Ausführungen von Peter Gäng.[i] Er verdeutlicht, dass die Lehre der Buddha-Natur im frühen Buddhismus erst in Ansätzen vorhanden war, sich dann aber umfassend weiterentwickelte und sich auch mit der Yoga-Praxis verband. Da es sich bei der Buddha-Natur letztlich um ein Erlebnis und eine Erfahrung handelt, die häufig dem mystischen Bereich zugeordnet werden, gibt es hierzu verschiedene Ansätze der sprachlichen

Formulierung. Durch die Buddha-Natur entsteht laut Peter Gäng „für Andere eine Art von spiritueller Landkarte, die ihnen die Orientierung erleichtern kann“.[ii] Allerdings sei eine Landkarte nicht die Erfahrung selbst, sondern nur ein Hilfsmittel und ein Hinweis auf die Wirklichkeit, die mit dem Begriff Buddha-Natur belegt ist.

Basis jeder Lehre über die Buddha-Natur ist die Grundwahrheit, dass jeder Mensch das vollständige Erwachen oder die Erleuchtung erfahren kann und sich dadurch von vielfältigen Zwängen des Lebens befreit, die immer wieder Leiden, Angst, Gram und Verzweiflung verursachen. Dieses Potenzial sei nicht auf die Menschen beschränkt, sondern Wesensmerkmal der Natur aller Lebewesen. Es gibt verschiedene Faktoren, die verhindern, dass sich diese wahre Natur verwirklicht, es gibt laut Peter Gäng etwas, das „hinzugekommen ist und demnach auch wieder verschwinden kann“.[iii]

Jeder Meditierende habe die Erfahrung einer friedvollen Stille gemacht, einer Gelassenheit, die in sich selbst ruht, ohne sich vor der Welt abzuschließen, und der wunderbaren Ausgeglichenheit.

Dieser Zustand existiert wirklich, ist keine Einbildung und verbale oder dichterische Konstruktion. Aber gemäß der Lehre Gautama Buddhas darf dieser Zustand nicht mit der altindischen âtman-Lehre verwechselt werden, die einen unveränderlichen Wesenskern postuliert, der sich in verschiedenen Wiedergeburten vervollständigt, bis er sich schließlich mit dem Allgeist (brahman) verbinden und das Ziel des Nirvâna erreichen würde, bei dem es keine Individualität des Menschen mehr gebe. Jede buddhistische Theorie müsse darauf bedacht sein, erklärt Peter Gäng, sich fundamental von der âtman-Lehre abzusetzen, das habe Gautama Buddha in aller Deutlichkeit gelehrt.

Das frühe Verständnis der Buddha-Natur klammerte negative, unheilsame Bereiche des Menschen im Hinblick auf die Buddha-Natur aus. Spätere, stärker psychologisch orientierte Entwicklungen des tantrischen Buddhismus bezogen diese unheilsamen Bereiche auch und gerade ein, anstatt sie einfach zu negieren.

Der Sanksrit-Begriff für „Buddha-Natur“ lautet tathagata garbha, wobei tathagata wörtlich übersetzt der „Vollendete“, „so Gekommene“ oder der „so Gegangene“ heißt. Ein solcher Mensch hat seinen wahren Weg gefunden, ist ihn gegangen und am Ziel angekommen. Manchmal wird dafür der Begriff der Soheit verwendet; das ist eine Wirklichkeit, die genauso ist, wie sie ist, der nichts hinzugefügt und nichts weggenommen wird. Dôgen benutzt häufig die Formulierung

Es ist, wie es ist“ – und meint damit also die Soheit.

Der Begriff garbha hat laut Peter Gäng eine doppelte Bedeutung: Gebärmutter und Embryo, also der weibliche Schoß und „das in ihm heranwachsende Kind“.[iv] Diese symbolische Bedeutung lässt sich um die folgenden erweitern: „Herkunftsort“, „Höhle“, „Inneres“, „Kern“, „Essenz“ und „Keim“.

Tathagata-garbha kann daher vor allem heißen:
Alle Lebewesen sind embryonale Buddhas“ und „Alle Lebewesen sind ein Schoß, in dem ein Buddha heranwächst“.

Dementsprechend sagt Dôgen über die Buddha-Natur:
„Alle Wesen haben die Buddha-Natur.“ Umgehend erweitert er ihn jedoch auf die Bedeutung

„Alle Wesen sind Buddha-Natur“.




[i] ebd., S. 137 ff
[ii] ebd., S. 138
[iii] ebd., S. 138
[iv] ebd., S. 141