Samstag, 1. April 2017

Hier und Jetzt des Zen: Das Berg-Kloster in Südtirol

(Niko Schulmeister)


 Der Raum hinter dem Altar des Bergklosters schien uns der geeignete Ort für unsere Sitz-Perioden zu sein. So dachten wir. Voller Vorfreude und Neugier, auch mit Bewunderung für den alten, kühlen Kalk-Stein, aus dem das Kloster erbaut worden war, machte ich mich auf, um die Räumlichkeiten zu entdecken.

Von dem sonnigen Innenhof führen eine niedrige Tür und ein paar ausgetretene Stufen hinunter in den gesonderten Bereich hinter dem Altar. Die ganze Kapelle ist so in zwei Bereiche unterteilt: Das ist die überlieferte Form der Franziskaner-Klöster. Der eine ist von außen durch den Eingang zugänglich, der andere für die kleine Schar der Mönche und jetzt für unsere Zen-Gruppe.
Mich erinnerte die hölzerne Trennung zwischen Gebetsraum der Kapelle und Aufenthaltsraum für die Mönche an einen Januskopf. Zu beiden Seiten des hölzernen Altars waren Bildnisse und Schnitzereien Jesu’ und dessen Kreuzigung zu sehen. Dankbar, an solch einem Ort meine Meditation praktizieren zu dürfen, legte ich mir wie die anderen mein Kissen für das Zazen zurecht.

Obwohl wir uns in knapp 1000 m Höhe befanden, waren es im Südtiroler Hochsommer im geschützten Innenhof des Klosters angenehme 25 Grad. Nachdem wir aber die paar Stufen hinabgestiegen war, merkten wir die alten kühlen Steine, die Wärme blieb draußen: doch etwas befremdlich. Eine neue Kälte von unten wurde immer spürbarer und drang auch durch die sorgfältig zurechtgelegten Decken und Kissen. Meine eine innere Unruhe nahm noch weiter zu.

Die ersten Sitzperioden unter dem überlebensgroßen Gekreuzigten waren mühsam. Ein Unbehagen und ein irgendwie rastloser Geist waren nicht zu unterdrücken. Zunächst dachte ich während des Sitzens und auch danach, dass dies die wahrscheinlich üblichen Schwierigkeiten der Eingewöhnung seien. Trotz des Versuchs solche fast drückenden Gedanken ins innere Gleichgewicht zu bringen, war ich immer froh, nach jeder Sitz-Periode wieder ans Tageslicht und ins Freie zurückzukehren.: Welch wunderbare Umgebung und Aussicht auf das weite sommerliche Etsch-Tal.

Zwischenzeitlich graute es mir davor, dies eine Woche durchhalten zu müssen. Abends bei Tisch entwickelte sich zwischen uns ein Gespräch, das sich langsam vortastend, zumeist, auf die Übel in der Welt bezog und mich selbst in eine bleierne Schwere versetzte. Eine letzte Sitzperiode ließ mich dann müde und abgekämpft in meine Mönchs-Kammer gehen.

Am nächsten Morgen in der Frühe erschien Yudo nicht, der nebenan wohnte. Wir warteten nach dem Frühstück auf ihn, um mit unserem Programm zu beginnen. Kurzerhand entschloss sich Eberhard-Gensa, Yudo aufzusuchen. Nach einiger Zeit kamen Gensa und Yudo dann gemeinsam zu uns ins Kloster. Er war übrigens gesundheitlich nach zwei schweren Operationen noch etwas angeschlagen. Er teilte uns seine Eindrücke des Vortages mit und bat um gemeinsame Unterstützung, wie wir die Klarheit, positive Kraft und tiefe Meditation des Zen hier verwirklichen können. Er sagte uns ohne Umschweife, dass wir etwas Tiefgreifendes, den Geist des Ganzen, ändern müssten, damit wir uns frei der Meditation hingeben und dem Buddha-Dharma öffnen könnten.

Das Zusammenkommen an diesem Ort hätte bisher keine Wirkung der Befreiung und Freude bewirkt, sondern wirkte eher hemmend und beengt. Wir untersuchten, ob und inwiefern uns das Jahrhunderte alte klösterliche Gemäuer, und insbesondere der Raum hinter dem Altar, in eine bedrückenden Stimmung brachten, belasteten und sowohl unser Befinden als auch unseren Geist trübten. Yudo erzählte, dass er seit Jahren nach Assisi, der Stadt des Franziskus fährt und dort die Spiritualität der Klarheit, Heiterkeit und tiefen Lebensfreude mit seinem Gedicht "Der Sonnengesang" kennengelernt habe: so wie er den Zen-Buddhismus versteht. Wo sei denn der Unterschied zwischen einem solchen Christentum und dem Buddhismus?
So beschlossen wir, die gegebene Situation zu verändern. Ein wichtige Veränderung war die volle Integration der wunderbaren uns umgebenden Natur in den Tagesablauf. Das war es doch, warum wir uns vor einiger Zeit entschlossen hatten, an diesem besonderen  Ort zusammenzukommen. Schon Buddha hatte empfohlen, in der Natur und Stille zu meditieren.

Von nun an saßen wir im Freien, im offenen einfachen und geradezu urigen Innenhof, der viel von den Mönchen benutzt und geprägt worden war. Nach zügigen gemeinsamen Umräumarbeiten hatten wir dort unter einem kleinen Vordach genügend Fläche geschaffen, um dort sitzen und meditieren zu können. Der ohnehin schon reich mit Pflanzen und Blumen geschmückte Hof und das Leben und Atmen im Hauch der Luftströmungen und in südlicher Sonne waren einladend und uns bald vertraut. Als das Wetter umschlug saßen wir bei Regenschauern und Gewittern dort enger beisammen, und waren wirklich froh, draußen zu sein.



Das Meditations-Gehen des KinHin zwischen den Sitzperioden praktizierten wir im Garten des Klosters: barfuß auf Gras und Erde. Eine große alte Linde war unser Freund. Das vormittägliche Studium führte uns in die Berge, da wir der Natur so nah wie möglich sein wollten.
Was es genau war, kann ich nicht sagen, aber das Überwinden des ersten deutlichen Widerstandes durch gemeinsames Handeln und das sich Öffnen für neue Möglichkeiten und Perspektiven verwandelten das anfänglich empfundene Unbehagen in großes Glück. 

Ich konnte nicht mehr sagen, ob die offene und grenzenlose Schönheit der uns umgebenden Natur nun außen oder innen war. Was wollen die Menschen überhaupt mit außen und innen ausdrücken? Wir hatten den Sinn dafür verloren. Das Erkennen des eigenen Widerstandes, die bewusste Entscheidung für eine Veränderung und das gemeinsame Handeln waren im Moment wie ein Samen, der sofort Wurzeln schlägt und weiter in die eigene Entfaltung führt.


Gemeinsam tief atmend auf einem Berg zu sitzen und dem Windspiel bei Gewitter zu begegnen war für mich größtes Glück an diesem Ort.